Lockruf Der Nacht
glühen und ich weiche seinem Blick aus. »Ich habe keine Angst vor dem Wasser.«
»Und deshalb sitzt du hier hinten und krallst dich seit einer Stunde an der Reling fest?«
Ich habe es gar nicht bemerkt, aber jetzt wo er es sagt, steht meine Hand kurz vor einem Krampf. Ich lasse los und versuche nicht daran zu denken, dass ich auf einem Boot sitze. Es ist leicht, solange er neben mir sitzt und mich ablenkt.
Er schmunzelt. Das Blau in seinen Augen ist jetzt so hell, dass sie fast wie Eiskristalle aussehen.
»Danke für die kleine Rettungsaktion in den Hamptons. Es war nicht meine Schuld …«
»Ich weiß …«
»Lilith … sie hatte mir eine Kopfschmerztablette gegeben … nur war das keine Kopfschmerztablette, sondern irgendein anderes Zeug. Hatte Yven dich angerufen?« Das wäre zumindest eine Erklärung für sein plötzliches Auftauchen, denke ich.
Als Antwort gibt Mo ein stummes Nicken von sich und sieht mich weiter an. Er riecht heute anders. Nicht nach Regen und Wind, sondern nach einem milden Aftershave und ich assoziiere gleich eine Aqua di Gio Homme Werbung mit ihm.
»Yven mag dich sehr.«
Warum sagt er mir das? Er ist lieb und nett, aber ich will nicht Yven ich will ihn, kapiert er das nicht? Nervös pule ich das Etikett von der Flasche.
»Er hat mir viel von dir erzählt, Leia. Ich kann mir vorstellen, dass ihr …« Er stockt, und fängt selbst an das Etikett von seiner Flasche abzuziehen. Jeden Fetzen rollt er zwischen seinen langen Fingern hin und her und schnippt es anschließend über Bord. »Dass ihr beiden ein schönes Paar abgeben würdet.«
Mein Innerstes schreit auf. Was redet er denn da? Ich weiß nicht was ich darauf antworten soll. Und dann platzt es aus mir heraus: »Schön, dass ihr euch alle so viele Gedanken um mein Liebesleben macht. Wäre aber schön, wenn ich das selbst entscheiden dürfte, mit wem ich mich einlasse.«
Mo sieht mich verstört an. »Natürlich. Tut mir leid, wenn ich dir zu nahe getreten bin.« Er steht auf und verschwindet unter Deck. Payton folgt ihm.
Was habe ich gemacht? Ich habe ihn verschreckt, dabei wollte er nur mit mir reden. Was bin ich nur für eine dumme Gans. Das Wasser ist plötzlich unruhiger und dunkler geworden. Eine Welle schwappt über die Reling und mit einem Mal bin ich von oben bis unten pitschnass. Lilith schüttet sich aus vor Lachen und kommt schwankend auf mich zu. Und als ich mich erhebe, um mir ein trockeneres Plätzchen zu suchen, legt sich das Boot plötzlich zur Seite und ich sehe nur noch den Mastbaum auf uns zukommen.
Wie ein kalter Mantel legt sich das Meer um meinen Körper, meine Kleider saugen sich voll und ziehen mich nach unten. Atemlos tauche ich auf und sehe mich nach Lilith um. Sie muss neben mir reingefallen sein, aber ich kann sie nirgendwo sehen. Lilith ist im Gegensatz zu mir eine hervorragende Schwimmerin und war Meisterin ihres Jahrganges im College. Aber was ist, wenn sie ohnmächtig ist? Die höheren Wellen lassen nur eine Sicht von einem kleinen Radius zu.
Anscheinend hat noch keiner bemerkt, dass wir über Bord gegangen sind, denn die Lichter des Schiffes entfernen sich immer weiter von mir.
Ich zwinge mich ruhig zu bleiben und nicht an das zu denken, was unter mir ist oder sein könnte. Ich rufe nach Lilith, tauche und versuche irgendetwas unter Wasser zu erkennen. Doch ohne das Sonnenlicht ist das Meer so undurchdringlich wie schwarze Tinte und ich kann keinen Meter weit sehen. »Lilith!!« Keine Antwort. »Lilith!«
Panik steigt in mir hoch. Meine Lungen fühlen sich an, als würden sie zusammengedrückt werden und es ist furchtbar anstrengend, mich über Wasser zu halten. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass mich etwas an meinem Bein berührt. Ich schreie, strample, schreie und schlucke Unmengen von salzigem Wasser, bis ich würgen muss. Ich bin mal unter, mal über Wasser, aber die Zeit, die ich jetzt unter Wasser verbringe, wird immer länger. Jetzt ist sie da: die Todesangst. Sie würgt mich, lähmt mich und schaltet den Verstand aus. Noch einmal schaffe ich es, meinen Kopf aus dem Wasser zu strecken, bäume mich gegen den Sog nach unten auf und versuche meine Lungen frei zu husten, als abermals eine Welle über mir bricht.
Es regnet und mir ist schrecklich kalt.
»Leia! … Leia!«
Luft, irgendetwas läßt mich nicht durchatmen und dann endlich ... Sauerstoff dringt in meine Lungen und als ich die Augen aufschlage, sehe ich Mo direkt über mir, aus seinen Haaren tropft das Wasser wie
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