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Lockruf der Toten / Magischer Thriller

Lockruf der Toten / Magischer Thriller

Titel: Lockruf der Toten / Magischer Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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und Logan drauf haben, aber dann habe ich beschlossen, Clay und Elena dazuzunehmen. Ein größeres Unterfangen, aber ich dachte, den Kindern ist es so vielleicht lieber, wenn sie heranwachsen.«
    Ich klappte den Block auf und blätterte in den Skizzen. Es waren ziemlich viele, alle nicht ausgeführt, manche davon kaum mehr als Umrisse mit der einen oder anderen Andeutung eines Gesichtszugs. Vorarbeiten für ein Gemälde – Jeremy zog es vor, nach Skizzen und dem Gedächtnis zu arbeiten und nicht nach einem Modell. Eher eine Interpretation als ein Foto sollte es sein.
    Seine Interpretationen waren oft überraschend. Wie die älteren Porträts von Clay und Elena in seinem Atelier. Clay – der ruppige, schwierige, gewalttätige Clay – als junger Mann mit einer Aura von fast kindlicher Unschuld. Und Elena, die Entspanntere und Umgänglichere der beiden, hatte auf dem Gemälde einen gefährlichen Zug, in dem sich das Raubtier im Inneren verriet.
    Auf den ersten Blick sah es so aus, als hätte Jeremy sich vertan, die beiden missverstanden. Aber ich hatte diese Seite an Elena gesehen, wenn sie ihre Familie verteidigte, und ich hatte hin und wieder sogar etwas von Clays sanfterer Wesensart zu sehen bekommen, wenn er mit seinen Kindern spielte oder mit seiner Frau sprach. Nicht ihre dominanten Züge, aber ein Aspekt des Ganzen – eine Seite, die sich nicht auf den ersten Blick erschloss.
    Insofern war es nicht weiter überraschend, dass ich beim ersten Blick auf die Skizzen, die Jeremy von mir gemacht hatte, dachte: Nein, das stimmt nicht. So sah ich mich selbst nicht. So sah ich mich nicht einmal in den Reaktionen anderer Menschen gespiegelt. In diesen Zeichnungen sah ich … ruhig aus. Gesammelt, beinahe introvertiert. Den Blick auf irgendetwas außerhalb des Bildes gerichtet; der Ausdruck ernst, geradezu gebannt vor Konzentration.
    Aber je länger ich auf sie hinunterstarrte, desto mehr dachte ich: Ja, das erkenne ich. Wie ein aus einem ungewöhnlichen Winkel aufgenommenes Foto.
    »Ooh, hübsch«, sagte eine Stimme unmittelbar hinter mir. »Das in der Ecke da gefällt mir.«
    Ich fuhr herum und sah mich einer Frau gegenüber – ein paar Jahre jünger als ich, mit glattem schwarzem Haar, das ihr fast bis zur Taille reichte. Über eins achtzig groß und von der kühlen, etwas exotischen Attraktivität eines Fotomodells. Allerdings verschwand der Eindruck von Distanziertheit in dem Moment, in dem sie von dem Block aufsah; ihre Augen funkelten vor fröhlicher Angriffslust, wie bei einer Katze, die ständig Ausschau nach etwas hält, bei dem sich das Anspringen lohnt.
    »Eve!« Ich drehte mich zu Jeremy um. »Es ist Eve.«
    Ich wusste, wie albern ich aussah, als ich da in die leere Luft gestikulierte, aber er lächelte nur und sagte: »Hallo, Eve. Ich bin froh, dass du dich doch noch anschließen kannst.«
    »Und ich bin froh, hier zu sein.« Sie sah mich an. »Unterbreche ich euch bei irgendwas? Falls ihr gerade mit den Aktporträts anfangen wolltet, komme ich später zurück.«
    »Haha. Wir sind gerade mit etwas fertig geworden. Ich habe Kontakt mit …« Ich sah mich um. »Sie sind weg. Oder sehr ruhig.«
    »Versuchen wahrscheinlich dahinterzukommen, wer oder was ich bin.«
    »Jaime?« Jeremy stand auf. »Ich gehe ins Haus und besorge dir etwas zu trinken. Wenn jemand gerade nach dir sucht, halte ich ihn fern.«
    »Danke.«
    »Der ist ja bezaubernd«, sagte Eve, als er gegangen war. »Und die ganze Strecke von New York hergekommen, um dich zu besuchen. Ohne Familie im Schlepptau. Sitzt im Garten und zeichnet dich, während du Leichenteile befingerst. Richtig häuslich. Heißt das also, dass ihr beide …«
    »Nein«, unterbrach ich und lächelte dann. »Ich glaub’s einfach nicht, dass du wirklich da bist. Kristof war sich ziemlich sicher, dass es nichts wird.«
    Sie setzte sich auf die Kante eines Hochbeets. »Na ja, es war nicht einfach, da rauszukommen, das kannst du mir glauben. Erst die Ketten, mit denen ich am Felsen festgeschmiedet war. Und dieser riesige Geier, der immer an meinem Fleisch rumpickt. Dann das Höllenfeuer und der dreiköpfige Dämonenhund, der den Ausgang bewacht …« Sie streckte die Hand aus, um mir einen Klaps auf den Arm zu geben, obwohl ihre Finger geradewegs durch mich hindurchglitten. »Du siehst mich an, als glaubtest du, ich mein’s ernst. Für wie böse hältst du mich eigentlich? Also wirklich.«
    »Apropos böse, neulich habe ich eine alte Freundin von dir kennengelernt.

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