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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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steif. Er sah mich nicht an, während er sprach, und ich hatte den Eindruck, daß er das Thema meiner bevorstehenden Hochzeit am liebsten vermieden hätte.
    Das sollte mir nur recht sein. Ich hatte die Absicht, Pemberton Hurst vorher zu verlassen.
    »Gehen wir?« Colin stand auf, ohne auf Etikette und guten Ton Rücksicht zu nehmen.
    »Also wirklich, Colin!« tadelte Anna.
    »Leylas Tasse ist seit zehn Minuten leer, und sie hat sich nicht nachgeschenkt. Das kann nur bedeuten, daß sie mit dem Frühstück fertig ist. Wir haben heute viel vor.«
    »Du hast recht, Colin«, sagte ich. »Ich laufe nur hinauf und hole meinen Umhang.«
    »Gut. Ich warte hier auf dich.«
    Henry und Theo standen auf, als ich aus dem Zimmer ging. Ich eilte rasch die Treppe hinauf, packte Umhang, Hut und Handschuhe und lief schon wieder nach unten. Ich war sehr gespannt auf diesen Rundgang. Aber als ich mich dem Salon näherte, hörte ich erregte Stimmen und blieb stehen.
    »Ich werde ihr zeigen, was mir Spaß macht«, sagte Colin hitzig. »Und was sie sehen möchte.«
    »Das wirst du nicht tun.« Das war Henrys Stimme. Er schien wütend zu sein. »Du wirst sie nicht dorthin führen, sonst verbiete ich den Rundgang.«
    »Leyla hat ihren eigenen Kopf, Onkel«, entgegnete Colin ungerührt. »Über kurz oder lang wird sie allein dorthin gehen. Da ist es doch besser, einer von uns begleitet sie.«
    »Aber nicht heute, Colin. Ich verbiete es dir.«
    Ich wollte nicht länger lauschen. Ich raffte meine Röcke, rief schon draußen vor der Tür »ich bin fertig« und eilte atemlos in den Salon. Henry und Colin standen sich am Tisch gegenüber wie zwei Kampfhähne.
    »Colin?« rief ich, und als er sich umdrehte, sah ich den blitzenden Zorn in seinen Augen. Was konnte das für ein Ort sein, den Henry mich nicht sehen lassen wollte? »Ich bin jetzt fertig.«
    »Gut.«
    Er schob seinen Stuhl zurück und kam auf mich zu. Nachdem er mir den Umhang abgenommen hatte, warf er einen letzten zornigen Blick in die Runde, dann ging er mit langen Schritten aus dem Zimmer. Ich lief ihm nach und holte ihn im Vorsaal ein. »Ist etwas nicht in Ordnung, Colin?«
    Er antwortete mir nicht, hielt mir nur schweigend den Umhang hin, legte ihn mir um die Schultern. Während ich meinen Hut aufsetzte und die Handschuhe überzog, stand er, offenbar tief in Gedanken mit gerunzelter Stirn neben mir und wartete. Als er sah, daß ich fertig war, zog er, immer noch ohne ein Wort, die Haustür auf, bedeutete mir vorauszugehen und ließ die Tür dann krachend hinter uns zufallen. Ein eisiger Wind blies uns ins Gesicht, zerzauste Colins Haar und ergriff meinen Umhang, daß ich Mühe hatte, ihn zu bändigen. Lange standen wir so auf der Treppe, Colin mit finsterem Gesicht, ich geduldig wartend, daß er sich meiner erinnere.
    »Wohin wollen wir zuerst gehen?« fragte er unvermittelt. »Hast du einen bestimmten Wunsch?«
    »Nein, gar keinen.«
    »Dann fangen wir mit den Stallungen an.«
    Er ging so schnell, daß ich Mühe hatte, Schritt zu halten. Ich befürchtete, daß diese Besichtigung von Pemberton Hurst bei weitem nicht so angenehm und unterhaltsam werden würde, wie ich geglaubt hatte. Colins Miene blieb grimmig und verschlossen, während wir, gegen den Wind ankämpfend, über den Vorplatz eilten; ihm ging vermutlich immer noch der Streit mit Henry durch den Kopf. Da Henry das Oberhaupt der Familie war, mußte man seinen Anweisungen natürlich Folge leisten, aber ich hatte mehr und mehr den Eindruck, daß Colin nicht bereit war, sich durch Henrys Befehle einschränken zu lassen.
    Die Stallgebäude befanden sich links vom Haus, etwas zurückgesetzt. Neben der Remise, zu der eine eigene Zufahrt führte, war der Pferdestall, in dem sich vier Pferde befanden und wo ein Stalljunge wohnte. Nachdem wir die Tür hinter uns zugedrückt hatten, mußte ich erst einmal Atem holen und meinen Hut wieder zurechtrücken, während Colin ziemlich erfolglos sein zu Berge stehendes Haar glattzustreichen suchte.
    Es war still im Stall, dämmrig und warm. Ein paar erschrockene Mäuse huschten an unseren Füßen vorüber zu ihren Löchern. Ab und zu schnaubten die Pferde.
    »Das ist es«, sagte Colin. »Nicht sehr eindrucksvoll, aber zweckmäßig.«
    Ich trat einen Schritt vor, Colin jedoch blieb an der Tür stehen. »Colin«, sagte ich, einer plötzlichen Regung folgend und beobachtete dabei aufmerksam sein Gesicht. »Bitte, geh’ mit mir zum Wäldchen.«
    »Zum Wäldchen?« Er zog die Augenbraue hoch.

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