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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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»Wozu denn das?«
    »Du hast mir erzählt, daß wir als Kinder dort gespielt haben. Ich möchte es so gern sehen. Vielleicht kommen dann meine Erinnerungen zurück.«
    Mir schien, als sei Colin nahe daran, in Gelächter auszubrechen. »Du weißt nicht, was du verlangst.«
    »Wieso?«
    »Onkel Henry möchte nicht, daß wir dorthin gehen.« Jetzt wußte ich es. »Warum nicht?« fragte ich, den Blick weiterhin unverwandt auf Colin gerichtet. »Mit dem Wind werden wir schon fertigwerden.«
    »Es ist nicht der Wind, Leyla. Ich glaube, du weißt, warum er nicht möchte, daß du dorthin gehst.«
    »Wegen meines Vaters und meines Bruder, meinst du? Ich weiß, daß ihr euch um mein Wohlergehen sorgt, aber das werde ich schon aushalten.«
    Er schüttelte langsam den Kopf. »Du weißt wirklich nicht, warum du besser nicht dorthin gehen solltest?«
    »Nein, aber dann erzähle du es mir doch!«
    »Das kann ich nicht.«
    »Ich habe ein Recht darauf, alles zu wissen.«
    Da nahm Colin mich plötzlich bei den Schultern und sah mich mit einem Blick an, bei dem mir selbst in der Wärme des Stalls eiskalt wurde.
    »Warum mußtest du zurückkommen, Leyla? Du glaubst, alles zu wissen, aber du weißt gar nichts. Geh wieder fort! Reise noch heute ab – «
    »Nein!«
    » – kehre zu deinem Architekten zurück. Vergiß die Pembertons. Wir machen dich nur unglücklich.«
    »Colin, bitte sag mir, was mir alle verschweigen. Ich spüre es an ihrem Verhalten. Ich weiß, daß ihr, du und Theo, Onkel Henry und Tante Anna, Geheimnisse vor mir habt. Ich möchte die Wahrheit wissen. Ich habe ein Recht darauf.«
    »Du hast kein Recht.«
    »Ich habe das gleiche Recht wie ihr alle, denn ich bin auch eine Pemberton. Ich bin in diesem Haus geboren. Dein Vater und mein Vater waren Brüder. Ich habe ein Recht darauf, alles zu wissen, was diese Familie betrifft, auch wenn es noch so beschämend oder schändlich ist. Ich habe ein Recht zu wissen. Darum bin ich zurückgekommen. Nicht wegen des Geldes oder schöner Kleider!«
    Er musterte mich mit diesem forschenden Blick, der mir nun schon so vertraut war.
    »Also gut«, murmelte er. »Ich werde es dir sagen. Aber versprich mir eines, nämlich, daß du, wenn ich dir alles erzählt habe, daß du mich dann nicht dafür verachten und hassen wirst, daß ich es dir gesagt habe!«
    »Colin – «
    Die Düsternis um uns schien dichter zu werden, und der Wind draußen heulte mit tausend Stimmen. Colin begann mit tonloser Stimme zu sprechen.
    »Als deine Mutter vor zwanzig Jahren dieses Haus verließ, tat sie es nicht nur, weil sie den Schmerz nicht ertragen konnte; sie verließ es auch, um dich wegzubringen, um dich von einem Ort zu entfernen, an dem Schlimmes geschehen war, Leyla. Ich kann mir vorstellen, daß du dir Gedanken darüber gemacht hast, warum du dich nicht an die Zeit vor deinem sechsten Geburtstag erinnern kannst; ich weiß den Grund dafür, und die anderen wissen ihn auch. Wir alle teilen die Erinnerung, die für dich nicht erreichbar ist. Ja, es hat mit dem Wäldchen zu tun und mit dem Tod deines Vaters und deines Bruders dort. Aber es hat auch noch mit etwas anderem zu tun.«
    Colin holte tief Atem. Seine Hände lagen fest auf meinen Schultern. »Wir waren an dem Tag alle hier in Pemberton Hurst: Sir John und Großmutter Abigail, Großtante Sylvia, mein Vater und meine Mutter, Onkel Henry und Tante Anna, Theo und Martha. Und natürlich du und deine Mutter. Wir waren alle zu Hause. Es – « Er brach ab und sah mir mit tiefem Zweifel ins Gesicht. »Leyla, es fällt mir ungeheuer schwer, die Worte auszusprechen, weil ich weiß, was sie dir antun werden. Wenn du niemals zurückgekommen wärst, hättest du in ruhiger Unwissenheit weiterleben, Edward Champion heiraten können, ohne je nach Pemberton Hurst zurückblicken zu müssen. Aber du bist zurückgekommen, und jetzt muß ich dir die Wahrheit sagen, und dein Leben wird dann nie wieder so sein wie vorher.«
    Wieder hielt er inne, um Atem zu schöpfen, und seine Finger gruben sich tiefer in meine Schultern.
    »Es geht um deinen Vater und deinen Bruder und die Art, wie sie den Tod gefunden haben. Das, was Theo dir erzählt hat, stimmt alles, aber er hat eine Tatsache weggelassen. Er hat dir nicht gesagt, daß an dem Tag noch jemand im Wäldchen war.«
    Ich erstarrte.
    »Ja, es war noch jemand da, der, in den Bäumen versteckt, das schreckliche Verbrechen mit ansah. Du, Leyla, du hast gesehen, wie dein Vater erst Thomas tötete und dann sich

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