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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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Welt zu setzen. Wer wird um uns trauern, Theo? Wenn wir krank werden, und das Fieber uns packt, wer wird uns dann stützen und trösten?«
    Ich brach ab. Das Fieber. Thomas Willis hatte darüber geschrieben – was war es nur, was ich nicht zu fassen bekam? Was sich mir so beharrlich entzog? Etwas in dem Traum der letzten Nacht…
    In diesem Moment kam Dr. Young ins Zimmer. Er teilte dem Pastor mit, daß Henry jetzt aufgebahrt werden und die Vorbereitungen für die Beerdigung getroffen werden können.
    »Ich habe übrigens Mr. Horton in East Wimsley benachrichtigen lassen«, sagte er zu Theo gewandt. »Er kommt heute abend hierher.«
    »Danke, Doktor«, antwortete Theo. »Sie sind uns eine große Hilfe.« Dr. Young nickte nur und richtete dann seine Aufmerksamkeit auf mich. »Mr. Horton wird das Finanzielle mit Ihnen erledigen«, bemerkte Theo, sich auf den Anwalt der Familie beziehend.
    Doch Dr. Young reagierte nicht darauf. Seine blauen Augen zeigten einen seltsamen Ausdruck, und er sagte beinahe unhörbar: »Wenn Sie mich in irgendeiner Sache brauchen sollten, können Sie mich zu Hause erreichen.«
    »Danke, Doktor«, sagte Theo, obwohl mir schien, als hätte Dr. Young nur mich angesprochen.
    »Es ist klug, daß Sie Ihren Vater nicht hier im Haus aufbahren lassen«, bemerkte Dr. Young zu Theo gewandt. »Die Leute von East Wimsley können in der Kirche ebensogut von ihm Abschied nehmen.«
    »Das war genau mein Gedanke. Es werden ja sehr viele sein. Die Arbeiter und ihre Familien, die Vertreter der Gemeinde…« Er schüttelte den Kopf. »Unvorstellbar, sie alle hier durch das Haus ziehen zu lassen.« Nein, dachte ich, auf keinen Fall dürfen Fremde in unsere Abgeschlossenheit eindringen. In diese klösterliche Stille und Einsamkeit… Ich stand ruckartig auf. Der Salon wurde mir zu eng, drohte mich zu ersticken. »Ich mache jetzt meinen Spaziergang«, sagte ich. »Gib auf dich acht«, mahnte Theo.
     
     
    Ein leichter Regen fiel, aber das störte mich nicht. Ich war viel zu tief in Gedanken, um es überhaupt wahrzunehmen. Der Traum der vergangenen Nacht war es, der mich beschäftigte, eine Offenbarung, die mir zuteil geworden war und deren Inhalt ich beim Erwachen vergessen hatte. Im Schlaf war mir der Traum ungeheuer bedeutsam erschienen, und auch jetzt, wo er vergessen war, blieb dieses Gefühl drängend. Er hatte mit Thomas Willis’ Buch zu tun gehabt.
    Der Regen tropfte von meinem Hut und rann meine Wangen hinunter. Einzelne Tropfen blieben an meinen Wimpern hängen und verschleierten mir die Sicht. Unablässig kreisten meine Gedanken um die Frage, was es gewesen war, das mir durch den Traum entdeckt worden war… Der Spaziergang half mir nicht zur Lösung des Problems. Nach zwei Stunden unverdrossenen Marschierern durch den Regen konnte ich mich immer noch nicht erinnern. Schließlich mußte ich umkehren, weil mein Umhang und meine Stiefel durchnäßt waren. Durchfroren kam ich im Haus an und beschloß, zum erstenmal ein Bad vor dem Kamin in meinem Zimmer zu nehmen. Danach, erfrischt und aufgewärmt, zog ich ein braunes Samtkleid an, bürstete mein Haar und ging hinunter, um mit der Familie das Abendessen einzunehmen.
    Ich trat etwas beklommen, weil ich nicht wußte, was für eine Stimmung mich empfangen würde, ins Speisezimmer und sah mit Erleichterung, daß Colin lächelnd zu mir aufblickte. Er schien sich ausnahmsweise Mühe gegeben zu haben, den allgemeinen Vorstellungen vom eleganten jungen Gentleman zu entsprechen. Sein dunkelgrünes Jackett und die schwarze Hose waren vom neuesten Schnitt, seine Stiefel blank poliert – sein Haar war offensichtlich gekämmt. »Wie geht es dir, Leyla?« fragte er und stand auf. »Ach, ganz gut. Und dir?«
    Er ließ mich nicht aus den Augen, während ich durch das Zimmer ging und mich auf meinen Platz neben Martha setzte. Sie nickte nur kurz und vertiefte sich gleich wieder in ihre Stickerei.
    »Du siehst jedenfalls heute entschieden besser aus«, stellte Colin fest. Ich dachte daran, wie ich in der Nacht im Morgenrock und mit wallendem Haar durch die Gänge gelaufen war und wurde rot. Theo saß still vor seinem Gedeck und starrte auf den Stuhl, auf dem sein Vater gesessen hatte. Anna war nicht erschienen.
    Wir aßen schweigend wie immer, jedoch ohne großen Appetit. Dafür sprachen wir alle dem Wein um so mehr zu – sogar Martha trank zwei Gläser und bekam davon einen roten Kopf.
    Gertrude meldete uns, daß Mr. Horton, der Anwalt, eingetroffen sei und im

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