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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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ich, daß es wahr sein muß. Bitte, laß mich jetzt gehen, Colin.«
    Er ließ wortlos meinen Arm los, und ich ging in mein Zimmer und schloß ab. Ich konnte mich mit der Ungerechtigkeit dieses Schicksals nicht abfinden. Ich warf mich völlig verzweifelt auf mein Bett und weinte, bis keine Tränen mehr kamen. Dann zog ich meinen Morgenrock aus und schlüpfte völlig erschöpft unter die Decke. Thomas Willis’ gesammelte Werke lagen auf meinem Nachttisch. Ich nahm das Buch und las mit verquollenen Augen jene schreckliche Seite noch einmal.

 
    13
     
     
     
    Mein zehnter Tag auf Pemberton Hurst begann mit schlimmen Kopfschmerzen. In der vergangenen Nacht hatte ich mir, ehe ich eingeschlafen war, noch eine Tasse Tee bringen lassen. Als ich nun lange nach Sonnenaufgang erwachte, merkte ich, daß der Tee mir überhaupt nicht geholfen hatte. Ich hatte schlecht geschlafen und die ganze Nacht wirre Träume gehabt.
    Nachdem ich mich gewaschen und mein Trauerkleid aus schwarzem Wollstoff angezogen hatte, setzte ich mich an den Toilettentisch, um mir das Haar zu ordnen. Die Ereignisse der vergangenen Nacht hatten deutliche Spuren in meinem Gesicht hinterlassen. Meine Augen waren ohne Glanz; meine Haut so bleich, daß sie fast grau wirkte. Feuchte Kompressen und Salbe halfen nur ein wenig, so daß ich am Ende aufgab und mich damit begnügte, mir lustlos das Haar hochzustecken. Mit finsterem Blick sah ich mein Spiegelbild an. Mein Kopf dröhnte vor Schmerzen, und ich wartete ungeduldig darauf, daß das Laudanum endlich wirken würde. Gleichzeitig versuchte ich verbissen, mich an einen bestimmten Traum zu erinnern, den ich in der Nacht gehabt hatte. Die anderen, alle äußerst lebhaft und plastisch, waren ohne Bedeutung gewesen, mit gesichtslosen Gespenstern bevölkert, die durch geheimnisvolle Räume geisterten. Aber dieser eine war anders und mir im Moment des Träumens außerordentlich wichtig erschienen, so als handle es sich um eine Botschaft aus den Tiefen meines Unterbewußtseins; doch so sehr ich mich jetzt bemühte, ich konnte ihn mir nicht ins Gedächtnis zurückrufen. Ich erinnerte mich undeutlich, daß er etwas mit dem Tumor zu tun gehabt hatte, und daß ich mich unverzüglich um eine bestimmte Sache, die damit zusammenhing, kümmern mußte. Aber der Traum war jetzt vergessen und ließ sich nicht zurückholen.
    Unten im kleinen Salon saß der Pastor bei Anna und versuchte, ihr Trost zuzusprechen, während Theo schweigend ihre Hand hielt. Martha saß zu meiner Überraschung ganz gelassen in einem Sessel und stickte, als wäre nichts geschehen. Ihr Gesicht war zwar blaß und angestrengt, aber sie schien sich einfach in eine eigene, unantastbare Welt zurückgezogen zu haben.
    Colin saß drüben im großen Salon am Klavier. Die wilden Klänge schallten durch das ganze Haus. Er spielte mit einer Leidenschaft, als wäre er der zornigste Mensch auf Erden. Ich ging nicht zu ihm, obwohl ich es gern getan hätte. Aber mein Platz war jetzt an der Seite Annas und ihres Sohnes.
    »Auf so schreckliche Weise sterben zu müssen!« jammerte Anna, die Hände auf ihr Gesicht gedrückt. »Es ist so ungerecht. So entsetzlich ungerecht.«
    Ich sah Theo an. Ich konnte mir vorstellen, wie ihm zumute sein mußte. Wir hatten unsere Väter auf die gleiche Weise verloren, und wir wußten, daß uns ein ähnliches Schicksal bevorstand.
    Als Theo auf mich aufmerksam wurde, stand er auf und setzte sich zu mir aufs Sofa. Nach einem Augenblick des Überlegens sagte er: »Ich hatte noch keine Gelegenheit, dir zu danken, Leyla. Du hast mir wahrscheinlich das Leben gerettet.«
    Ich dachte an meinen Vater, der meinen Bruder Thomas getötet hatte. Ich stellte mir vor, wie ich, fünf Jahre alt, im Gebüsch gekauert und es mitangesehen hatte.
    »Ich habe blind gehandelt, Theo, nicht mutig.«
    »Trotzdem…«
    Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander und lauschten den aufgewühlten Klängen der Musik, die aus dem großen Salon kamen. Ich stellte mir Colin vor, wie er mit wildem Blick und fliegendem Haar am Klavier saß. Ich beneidete ihn um diese Möglichkeit, sich Erleichterung zu verschaffen.
    »Vater wird morgen in East Wimsley in der Familiengruft begraben.«
    »Da werden auch wir eines Tages enden, Theo.«
    »Leyla, alle Menschen müssen sterben.«
    »Ja, aber nicht auf so grauenvolle Weise. Dein Vater hatte wenigstens dich als Stütze. Sir John hatte einen Sohn und Enkel, die ihn betrauerten. Wir aber haben uns geschworen, keine Kinder in die

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