Lockruf des Blutes
Wort gesagt zu haben, und beugt sich erneut übers Bett.
»Tut mir leid, Süße«, sagt er. »Ich muss jetzt wirklich los. Ich rufe dich an, wenn ich in Washington bin, okay?« Besorgt runzelt er die Brauen. »Ach, und wegen gestern Abend. Ich wollte dich nicht …«
Ich strecke die Hand aus und streichle seine Wange. »Ist schon gut, Max. Pass bloß auf dich auf, ja? Ich bin noch nicht fertig mit dir.«
Er lächelt, und seine Gesichtszüge wirken ganz weich vor Erleichterung. »Freut mich, das zu hören.«
Ich begleite ihn zur Tür, und als ich den Stuhl davor wegziehe, fällt mir ein, dass ich den Hausmeisterservice anrufen muss, um die Tür reparieren zu lassen. Die werden sicher wissen wollen, wie das passiert ist, also sollte ich mir etwas einfallen lassen.
Ich küsse Max und schaue ihm nach, bis er hinter der Tür des Aufzugs verschwindet. Ich habe ein mieses Gefühl, nicht wegen dem, was gestern Nacht zwischen uns passiert ist, obwohl mir auch das Sorgen macht. Aber wenn Martinez dahintergekommen ist, welche Rolle Max bei der Zerschlagung seiner Geldwäscheorganisation gespielt hat, wird er sich an ihm rächen. Allerdings kann ich dagegen nichts tun. Max ist ein großer Junge und ganz sicher in der Lage, auf sich selbst aufzupassen. Ich schiebe die Tür zu. Meine erste Sorge muss Trish gelten.
Ich überlege, ob ich Frey anrufen oder gleich zu ihm hinfahren soll. Mein Plan für heute Vormittag sieht vor, Carolyn zu verfolgen, aber der Drang, mich selbst davon zu überzeugen, dass es Trish gut geht, ist einfach zu stark. Eine schnelle Dusche, einmal mit der Bürste durchs nasse Haar, saubere Jeans und ein Baumwollpulli, und schon bin ich zur Tür hinaus. Beim Versuch, sie abzuschließen, werde ich wieder daran erinnert, dass ich zuerst etwas anderes erledigen muss.
Burdick, der Mann von der Hausverwaltung, der für diese Gebäude zuständig ist, wohnt im Erdgeschoss. Er ist ein hektischer, pingeliger kleiner Mann mit zu dicht stehenden Augen in einem fetten, runden Gesicht. Ich habe ihn noch nie gemocht. Er schaut mich immer an, als würde er mich am liebsten auf Toast serviert sehen. Den werde ich ganz sicher nicht vermissen, wenn ich hier ausziehe.
Aber ich hätte mir nicht so viel Mühe damit machen müssen, mir eine Geschichte für ihn auszudenken. Er fragt nicht einmal, wie die Tür kaputtgegangen ist, das scheint ihm vollkommen egal zu sein. Er versichert mir nur, dass ich eine saftige Rechnung bekommen werde, und starrt mich dabei lüstern an, als erwarte er, dass ich ihm anbiete, den Schaden im Liegen abzuarbeiten.
Seine Haltung mir gegenüber spannt meine Geduld wie ein Gummiband, aber ich schaffe es, mich zu zügeln, ehe ich etwas Dummes tun kann, wofür ich vermutlich im Gefängnis gelandet wäre. Dieses eine Mal springt mein Verstand an, bevor meine Impulse in Gang kommen. Dieser hässlich grinsende kleine Mann wird nie erfahren, wie kurz er davor stand, etwas ganz anderes reparieren lassen zu müssen. Zum Beispiel das Fenster, durch das ich ihn fast geschleudert hätte.
Mit dem üblen Nachgeschmack dieser Begegnung noch im Mund, fahre ich zu Frey. Diesmal erwische ich die Rushhour. Ich fahre einen Jaguar, tiefergelegt. Ich stecke hinter einem riesigen Diesel-Pick-up fest, dessen Auspuffrohr sich in Höhe meiner Windschutzscheibe befindet. Ich atme vielleicht keinen Sauerstoff mehr, aber riechen kann ich noch. Die Abgase sind so widerlich, dass ich nach einem Fluchtweg Ausschau halte. Hinter mir sitzt ein junger Mann in einem Toyota, so dichtauf, dass ich die Pickel in seinem Gesicht sehen kann. Auf der einen Seite meines Wagens steht ein Bus, auf der anderen ein Müllauto.
Ich bin gefangen. Der Knoten in meinem Magen zieht sich noch enger zusammen.
Entspann dich, Anna. Ich habe dich schon lange nicht mehr so nervös erlebt.
Dieses Eindringen in meinen Kopf kommt unerwartet, doch die Stimme ist mir vertraut.
Na so was, Casper. Ich habe seit Wochen nichts von dir gehört. Wo hast du denn gesteckt?
Da. Und dort.
So genau wollte ich es gar nicht wissen.
Ein Kichern in meinem Kopf. Ich suche sämtliche Fahrzeuge um mich herum ab und versuche, eine Spur zu der Stimme zu finden, die nach Belieben in meinem Kopf vorbeischaut. Nur eines weiß ich ganz sicher: Casper – diesen Spitznamen habe ich ihm gegeben, weil er mich an das freundliche Gespenst aus dem Comic erinnert – meldet sich nur, wenn ich in der Klemme stecke. Ich habe keine Ahnung, wer oder was er ist oder wie er es
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