Lockruf des Blutes
anstellt, mit mir zu reden.
Ich gebe den Versuch auf, ihn finden zu wollen. So schlimm ist es, ja? , frage ich.
Könnte sein.
Möchtest du dich vielleicht ein bisschen genauer ausdrücken?
Kann ich nicht. Verlier bloß nicht den Kopf.
Falls du das wörtlich meinst – ich habe nicht die Absicht. Trotzdem hat er mich damit erschreckt. Du meinst das doch nicht wörtlich, oder?
Zügle deine Emotionen. Sie dürfen dich nicht vom Weg abbringen.
Meine Emotionen zügeln? Und ich dachte, ich würde schon die ganze Zeit über nichts anderes tun. Der Hausverwalter ist heil und ganz, und Carolyn läuft noch mit einem Kopf auf den Schultern herum. Doch bevor ich das erwidern kann, spricht Casper erneut.
Du wirst in den nächsten Tagen ein paar schwere Entscheidungen treffen müssen. Sie werden das Leben derer, die du am meisten liebst, beeinflussen. Vergiss nicht, wer du bist.
Wer ich bin? Ein Bild steht mir vor Augen – die vergangene Nacht mit Max und was dabei beinahe passiert wäre. Ist es das, wovor Casper mich warnen will?
Aus Besorgnis wird allmählich Panik. Casper hat sich noch nie so deutlich und dabei so widerlich zweideutig ausgedrückt. Von wem reden wir? Geht es um meine Eltern? David? Max?
Keine Antwort.
Verdammt noch mal. Frustriert schlage ich mit der Faust aufs Lenkrad. Casper? Was hast du damit gemeint?
Doch an dem Ort, den Casper in meinen Gedanken aufsucht, herrscht gähnende, schweigende Leere. Er ist weg, nachdem er genau die Sorte subtiler Andeutung gemacht hat, von der er weiß, dass sie mich am meisten trifft. Eine Andeutung, die wie geschaffen dafür ist, meine Nerven zum Zerreißen zu spannen und meine Zähne einsatzbereit klappern zu lassen.
Die Andeutung, dass ich für jemanden, den ich liebe, eine Gefahr darstellen könnte.
Toll.
Der Junge in dem Toyota hinter mir drückt auf die Hupe. Endlich bewegt sich etwas. Ich lege den Gang ein und rolle langsam vorwärts.
Ich rechne damit, dass Frey sofort aufmacht, als ich am Tor klingele.
Tut er aber nicht. Ich versuche es immer wieder. Ich tippe seine Apartmentnummer so oft auf das Tastenfeld, bis ein Klopfen am Beifahrerfenster mich erschrocken herumfahren lässt.
Ein uniformierter Wachmann ist wie aus dem Nichts erschienen und späht neugierig in mein Auto. Er bedeutet mir, das Fenster herunterzulassen. Ich tue es.
»Gibt es irgendein Problem, Miss?«, fragt er.
Ich schüttele den Kopf, zu überrascht, um einen sinnvollen Gedanken in zusammenhängende Worte zu fassen.
Auf seinem wettergegerbten, etwa sechzig Jahre alten Gesicht breitet sich ein schwaches Lächeln aus. »Zu wem möchten Sie denn?«
»Daniel Frey. Apartment sieben B.«
Nun ist er es, der den Kopf schüttelt. »Mr. Frey ist nicht hier. Sein Fahrer hat ihn vor etwa einer Stunde abgeholt. Wie an jedem Schultag.«
Weg? Hat er Trish etwa mitgenommen?
»Konnten Sie sehen, ob er allein im Auto war?«
Diesmal nickt er. »Wie immer, Mr. Frey und sein Fahrer.«
Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass Frey Trish allein lassen könnte. Was hat er sich dabei gedacht? Ich war davon ausgegangen, dass er sich heute krankmelden würde. Panik flackert in mir hoch, aber nur flüchtig, sofort verdrängt von einem dunkleren, hitzigeren Gefühl. Zorn. Wie konnte er Trish allein lassen? Sie muss inzwischen halb verrückt sein, nachdem es so oft an der Tür geklingelt hat und sie nicht weiß, wer da draußen ist.
Der Wachmann beugt sich zu mir vor und wartet auf ein Anzeichen dafür, dass ich ihn verstanden habe und das einzig Logische tue – wegfahren.
Also tue ich es. Ich bedanke mich bei ihm und wende in der Einfahrt. Auf der Straße, kaum außer Sicht, halte ich wieder an. Ich krame in meiner Handtasche herum, hole das Handy heraus und wähle Freys Nummer. Nach vier Klingeltönen geht ein Anrufbeantworter dran. Ungeduldig lasse ich die übliche Anweisung über mich ergehen, nach dem Signalton eine Nachricht bla, bla, bla.
Endlich. Es piepst.
»Trish? Bist du da? Hier ist Anna. Du kannst ruhig rangehen, hörst du? Ich weiß, dass Mr. Frey in die Schule gegangen ist. Ich will mich nur vergewissern, dass es dir gut geht. Trish? Bist du da?«
Die Sekunden verstreichen, und schließlich schaltet sich der Anrufbeantworter ab. Trish ist nicht drangegangen. Was zum Teufel ist hier los?
Sobald ich aufgelegt habe, klingelt mein Handy. Ohne auf die Anrufernummer zu schauen, melde ich mich mit einem barschen: »Frey? Ich hoffe für Sie, dass Sie das sind.«
»Nein«, sagt
Weitere Kostenlose Bücher