Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lockruf des Blutes

Lockruf des Blutes

Titel: Lockruf des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne C. Stein
Vom Netzwerk:
gehen mir allmählich ernsthaft auf die Nerven. Ich habe es satt, mich Hintertreppen hinunterzuschleichen und im Gebüsch verstecken zu müssen. Ich schnappe mir den Mantel und die Perücke und gehe zum Hinterausgang. Höchste Zeit, die Sache endlich zu erledigen.
    Der Streifenwagen erwartet mich direkt am Hinterausgang, der unterirdisch liegt. Der Polizist lehnt an der Beifahrertür und raucht eine Zigarette. Als er mich kommen sieht, schnippt er sie weg.
    Ich weiß, was er ist, noch bevor er seine Gedanken zu mir ausschickt.
    Du musst Ortiz sein , sage ich, da ich mir denken kann, dass Williams mir einen Vampir-Cop als Fahrer zugeteilt hat. Ich strecke die Hand aus.
    Er grinst und ergreift sie. Sein Händedruck ist fest und trocken. Er folgt meinem Blick zu der glimmenden Zigarettenkippe. Das ist das Beste an der Unsterblichkeit. Ich werde nie das Rauchen aufgeben müssen.
    Zur Antwort ziehe ich eine Braue in die Höhe. An so etwas habe ich nun wirklich noch keinen Gedanken verschwendet. Er öffnet die Tür, und ich steige ein. Dann sehe ich zu, wie er vorn um den Wagen herumgeht und sich auf den Fahrersitz setzt. In menschlichen Jahren scheint er etwa Ende zwanzig zu sein, eins fünfundsiebzig groß, schlanke achtzig Kilo. Er ist eher niedlich als gutaussehend, mit einer Adlernase, dunklen Haaren und Augen, olivebraunem Teint und hohen Wangenknochen. Er fährt los und wirft mir ein schiefes Lächeln zu.
    Niedlich? Kein Mann wird gern als niedlich bezeichnet.
    Sein Tonfall bringt mich zum Lachen. Gelacht habe ich in den vergangenen Tagen herzlich wenig. Er fragt mich, wohin wir fahren, und ich nenne ihm Ryans Adresse. Er verfällt in Schweigen, sowohl äußerlich als auch gedanklich. Ich habe noch nicht allzu viele Vampire kennengelernt und frage mich flüchtig, ob es sich zum Beispiel gehören würde, ihn zu fragen, wie er zum Vampir geworden ist. Doch stattdessen lehne ich mich zurück und schließe die Augen. Ich muss einen klaren Kopf bekommen. Denn ich fürchte, Ryans Eltern gegenüberzutreten und ihnen zu erklären, was wir ihnen bisher verschwiegen haben, wird nicht besonders angenehm.
    Als wir vor Ryans Haus halten, wartet er schon an der Tür. Hinter ihm stehen zwei Leute mit den typischen Mienen besorgter Eltern. Ich bitte Ortiz, im Wagen auf uns zu warten, und gehe allein auf das Haus zu, mit dem seltsamen Gefühl, mich in eine Löwengrube zu begeben.
    Ryan runzelt vor Sorge und Ungeduld die Stirn. Er stellt mich flüchtig seinen Eltern vor und hat es offensichtlich eilig, endlich loszufahren.
    Bedauerlicherweise haben seine Eltern ein paar Fragen, und als sie mich hineinbitten, folge ich ihnen ins Haus.
    Mr. und Mrs. North sind Ende vierzig, beide groß, braungebrannt und in schicke Businessklamotten gekleidet. Das Wohnzimmer, in das sie mich führen, ist im edlen Landhausstil eingerichtet – Sofa und Sessel mit hellen Stoffbezügen, weiß lasierte Beistelltische mit Korbschubladen, offene Vitrinen neben Fenstern mit einem beeindruckenden Blick auf die Stadt auf der anderen Seite der Bucht. In den Bücherregalen stehen weiß gerahmte Familienfotos zwischen einer beeindruckenden Sammlung kunstvoll arrangierter Muscheln.
    Ich habe kaum Zeit, das alles in mich aufzunehmen, ehe Mr. North loslegt. »Wir sind nicht einverstanden mit Ryans Handlungsweise, Ms. Strong«, sagt er. »Und mit Ihrer auch nicht. Sie haben ein Kind in Gefahr gebracht. Er ist im Besitz von Informationen, die unverzüglich der Polizei hätten übergeben werden müssen. Stattdessen haben Sie ihm gesagt, er solle sie für sich behalten. Jetzt wird ein Mädchen vermisst, und die Mutter ist tot.«
    Zumindest geben sie Trish nicht die Schuld am Tod ihrer Mutter. Vielleicht haben sie die Pressekonferenz verpasst. »Kennen Sie Trish gut?«, frage ich.
    Mrs. North winkt ab, als hätte sie die wahre Frage hinter meinen Worten sehr wohl verstanden. »Falls Sie wissen wollen, ob wir glauben, dass sie etwas mit dem Tod ihrer Mutter zu tun hat, lautet die Antwort nein. Trishs Mutter war nicht besonders nett. Wir fanden es sehr bedauerlich, dass sie Trish aus der Schule hier herausgenommen und mit ihr ins East County gezogen ist. Ich glaube, Trish hat sich bei uns geborgen gefühlt. Wir fanden es schade, dass sie weggezogen ist.«
    Ryan tritt von einem Fuß auf den anderen, den Blick starr auf mich gerichtet, und umklammert seinen Rucksack so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervorstehen.
    Ich bin nicht die Einzige, der das auffällt.

Weitere Kostenlose Bücher