Lockruf des Glücks
durch die Hintertür des Ballsaals und lief so schnell es ihre hochhackigen Sandalen erlaubten über das Gelände. Die Wahrheit dämmerte ihr – nein, hatte sie wie ein Blitz getroffen – und sie musste alleine sein.
Tatsächlich schlugen um sie herum Blitze ein, als sie den Pfad hinunter zum Bungalow rannte. Der Wind zerstörte ihre Frisur, aber sie merkte es nicht. Tränen strömten ihr über die Wangen, als sie weiterjagte. Sie spürte vom Laufen einen brennenden Schmerz in ihrer
Seite und in ihrer Seele eine Pein dessen, was sie nun als unverbrüchliche Wahrheit erkannt hatte.
Sie erreichte den Bungalow in Rekordzeit und fingerte in ihrer perlenbesetzten Handtasche nach dem Schlüssel. Endlich im Zimmer, riss sie sich das schwarze Kleid vom Leib, als ob es ein ekelhaftes Totenhemd wäre und zerrte die Strumpfhose von ihren Beinen. Nackt ging sie zum Frisiertisch und zog die letzten, übrigen Haarnadeln aus ihrem Haar. Sie bürstete es heftig, als ob sie sich damit bestrafen wollte.
Ein Drang zu flüchten schnürte sie ein und rief Irrationalität und Panik hervor. Sie musste entkommen – sich selbst und dem Mann, der sie suchen würde, wenn er entdeckte, dass sie fort war. Er durfte sie in dieser Nacht nicht finden. Er durfte nicht. Sie war zu schwach, zu empfänglich. Wenn er sie fand...
Wo sollte sie sich verstecken? Wie eine Antwort zischte ein Blitz aus den tief hängenden Wolken scheinbar mitten in das Herz des Meeres. Josh würde nicht am Strand nach ihr suchen, nicht bei diesem Wind. Nur ein Dummkopf würde während eines Gewitters in die Nähe des Wassers gehen. Nun denn, dann wäre sie eben ein Dummkopf.
Sie schlüpfte in ihre Bikinihose, aber ersetzte das Oberteil durch ein weiches, weites Sweatshirt, weil sie dachte, dass es im heulenden Sturm des Ozeans sonst zu kalt wäre. Binnen Sekunden rannte sie durch die Terrassentür und die Böschung zum Strand hinunter. Sie nahm Reißaus vor jedem Anzeichen von Licht. Die
vielen blauweißen Blitze des Sturms waren ihre einzige Beleuchtung.
Weit vom Bungalow entfernt setzte sie sich in den feuchten Sand, zog die Knie an ihren Körper und legte ihren Kopf darauf. Bittere Tränen brannten in ihren Augen und machen ihre Wangen nass. Ich liebe ihn.
Ihre Gedanken wurden trotz all ihrer Versuche, sie zu verleugnen, von der Wahrheit beherrscht. Sie liebte ihn – schon lange und innig. Sie hatte ihn seit dem ersten Moment, in dem sie ihn gesehen hatte, vor mehr als vier Jahren, geliebt. Sie hatte ihn zu sehr geliebt, als dass sie einen anderen Mann hätte heiraten dürfen, zu sehr, um eine wirklich treue Ehefrau sein zu können, zu sehr, um einen idiotischen Racheplan in die Tat umzusetzen. Wen wollte sie rächen? James? Sich selbst? Alles, was einstmals so klar und eindeutig gewesen war, schien jetzt ein Durcheinander sich widersprechender Gefühle, ein Wirrwarr an Wahrheiten, Halbwahrheiten und Fehlinterpretationen.
Von Schuldgefühlen überwältigt, rollte sie sich seitlich zusammen und weinte bitterlich. Es war nicht Josh, der sie hierhergebracht hatte, sie war es selbst. Die Rolle, die sie in den vergangenen Tagen gespielt hatte, war die Rolle, die sie schon immer für diesen Mann spielen wollte, aber sich selbst nie zugestanden hatte. Die schockierende Wahrheit war, dass sie alles dies getan hatte, weil sie es tun wollte, und nicht, weil sie Josh zu Fall bringen wollte. Während der ganzen Zeit, in der sie versucht hatte, sich selbst davon zu
überzeugen, dass sie ihn mit ihren verführerischen Allüren und ihrem zärtlichen Geplänkel anlog, hatte sie nur sich selbst angelogen.
»Du bist ein Dummkopf, Megan Lambert«, schrie sie laut.
»Hast du dir je überlegt, dass du in deine eigene Falle tappen könntest?«
Unendlich lange lag sie am Strand und weinte. Der Wind pfiff unheilverkündend um sie herum. Blitze zischten und zerstoben, erleuchteten unheimlich den Horizont oder rissen kurzfristig den Wolkenvorhang auf, hinter dem Himmel und Meer ineinander verflossen. Es konnte zu regnen begonnen haben oder es konnte Salzwasser sein, das auf ihre kalte Haut spritzte. Sie wusste es nicht, und es kümmerte sie auch nicht. Sie spürte die Elemente nicht. Sie kannte nur noch den peinigenden Schmerz tief in ihrem Inneren und die Leere, die an den Rändern ihrer Seele darauf lauerte, sie in ihren bodenlosen Abgrund zu ziehen.
»Megan!« Ihr Name gellte zerrissen aus einer angstvollen Kehle. Sie hörte es nur Augenblicke ehe sie die Schwingungen rennender
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