Lockruf Des Mondes
anderen Seite hinübergingen.
Plötzlich war der große graue Wolf vom Tag zuvor da und tauchte praktisch direkt vor ihnen auf. Emily schnappte erschrocken nach Luft, aber Cait stürzte auf ihren Bruder zu und schlang ihm die Arme um den Nacken.
»Wir müssen mit dir reden«, sagte sie zu dem Wolf.
Er blickte von Cait zu Emily und dann wieder zu Cait. Sie seufzte und stand auf. »Ich glaube, er will, dass wir uns umdrehen, bevor er sich verwandelt. Das ist eine sehr private Angelegenheit bei uns.«
Emily wandte sich ab. Wahrscheinlich hatte Cait die Wahrheit ein bisschen beschönigt, überlegte sie. Talorc machte es bestimmt nichts aus, sich vor seiner Schwester umzuziehen, aber bei einer Engländerin, die er als mögliche Ehefrau schon abgelehnt hatte, war das sicher etwas anderes.
»Wieso ist sie bei dir?«, fragte er barsch, und beide Frauen drehten sich wieder zu ihm um.
Er war nackt. Emily hätte sich das eigentlich denken müssen, aber es brachte sie so in Verlegenheit, dass sie errötend ihren Blick abwandte. Die Chrechten waren viel unbefangener, was Nacktheit anging, als die Engländer.
»Um einen Krieg zwischen meinem neuen Clan und meinem alten zu verhindern«, antwortete Cait nicht ohne Schärfe.
»Sie hat sich mit dem Balmoral zusammengetan.«
»Nein, das habe ich nicht«, widersprach Emily. »Aber das spielt im Moment auch keine Rolle. Deine Schwester ist eine Balmoral, und sie will keinen Krieg. Und da sie meine Freundin ist, möchte ich ihr zuliebe auch diesen Krieg verhindern.«
»Ich werde dich jetzt ganz gewiss nicht mehr zur Frau nehmen.«
Emily verdrehte die Augen und richtete ihren Blick wieder auf Talorc. »Das ist nichts Neues. Das hatten wir schon vor der Entführung deiner Schwester und meiner Wenigkeit geklärt.«
Er grunzte zustimmend. »Das ist richtig.«
»Wir müssen wissen, ob du gesehen hast, wer den Balmoral'schen Soldaten getötet hat«, warf Cait ungeduldig ein.
Talorc runzelte die Stirn. »Ja, aber ich war zu weit entfernt, um es zu verhindern. Der Mörder hat mich danach sogar noch angesprochen.«
»Was? Er hat dich angesprochen? Warum?«, fragte Cait nicht weniger schockiert, als Emily es war.
»Er will, dass ich den Laird der Balmorals töte, weil er die Kontrolle über den Clan erlangen will.«
Cait errötete vor Zorn. »Das würde Drustan niemals tun!«
»Ich habe nicht gesagt, dass es dein neuer Ehemann war.«
»Aber wer sonst würde glauben, er könnte die Clan-Führung übernehmen?«
»Ulf«, riet Emily.
Cait starrte sie nur an, aber Talorc nickte.
»Wir Menschen halten uns nicht für so unfähig und nutzlos, wie es die Chrechten tun«, bemerkte Emily.
Cait machte ein beleidigtes Gesicht. »Ich habe nicht gesagt, dass du unfähig oder nutzlos bist.«
»Nein, aber du hättest nie gedacht, dass ein Mensch auf die Idee käme, er könnte einen Clan mit einem Werwolfrudel darin übernehmen. Doch war das nicht genau das, was MacAlpin dachte, als er die Chrechten verraten hat? Nur dass er gleich ganz Schottland übernommen hat.«
»Du bist klug - für eine Engländerin«, stellte Talorc fest und wandte sich an Cait. »Sie hat recht. Unsere Stiefmutter war ein weiteres vortreffliches Beispiel. Bedenk doch nur mal, was für einen Schaden sie angerichtet hat, und sie war nicht einmal chrechtischer Abstammung.«
»Aber Drustan würde Ulf umbringen.«
»Nicht, wenn er deinem Bruder die Schuld an Lachlans Tod gäbe«, sagte Emily.
Cait wurde blass, als sie Talorcs ernsten Blick erwiderte. »Er würde diesen verfluchten Mörder aus Loyalität sogar unterstützen und versuchen, Lachlans Tod zu rächen, indem er dich umbringt!«
»Ja. Ulf ist ein Mörder. Der junge Soldat hatte keine Chance«, berichtete Talorc sichtlich angewidert. »Er argwöhnte nichts, bevor ihn der erste Messerstich direkt ins Herz traf.«
»Und die anderen Wunden wurden ihm dann zugefügt, damit es so aussah, als hätte ihn ein Tier getötet. Du - als Wolf.«
»Ja, doch wenn das geklappt hat, frage ich mich, was für ein Narr dein neuer Laird sein muss. Warum warst du so sicher, dass ich es nicht gewesen war?«, fragte Talorc seine Schwester.
Cait starrte ihn an. »Du bist mein Bruder. Du würdest keinen unerfahrenen Soldaten töten.«
»Wenn ich von ihm überrascht worden wäre, hätte ich ihn in Notwehr getötet.«
»Aber er hätte dich nicht überraschen können.«
»Das ist richtig«, sagte Talorc hochmütig. »Doch ich glaube, es gibt noch einen anderen Grund, warum du so
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