Lockruf des Verlangens (German Edition)
sich zu überlegen, wie es im Medialnet wohl sein mochte, doch es gelang ihm nicht. »Ich habe gehört, das Medialnet soll wunderschön sein.«
»Ja – auf eine Art ist es ein perfekt geschliffener Edelstein. Makellos und kalt.« Ihre Hand lag jetzt ruhig auf seiner Brust. »Als ich noch in Silentium war, habe ich das zwar nicht verstanden, aber ich habe schon damals gewusst, dass es falsch ist, eine Mutter von ihrem Kind zu trennen.«
Er hörte den Schmerz aus ihren Worten heraus und legte die Hand wieder auf ihren Rücken. »Du hast sie sehr geliebt.«
»Sie hat versucht, mich zu retten, aber sie war eine kardinale Telepathin mit weniger starken telekinetischen Fähigkeiten – « Ein Problem an sich. »Sie konnte nicht einmal sich selbst retten.«
Er wusste, dass sich ihre Mutter von der Golden Gate Bridge gestürzt hatte, die Tragödie musste Narben bei Sienna hinterlassen haben. »Sind ihre Schilde gebrochen?«
Sie schüttelte den Kopf und bettete ihre Wange an seine Schulter. »Sie ist verrückt geworden. Das passiert manchen starken Telepathen selbst unter Silentium. Als wäre kein Schild stark genug, sie zu schützen, und die Gedanken anderer Leute würden sich im Schutz der Nacht heranschleichen und einnisten.« Seine Brust wurde feucht, es roch nach Salz. »Frei«, sagte sie. »Das hat meine Mutter gerufen, als sie sprang – sie war endlich frei. Alle haben geglaubt, sie habe Silentium damit gemeint, aber meine Mutter hätte alles für das Programm getan. Sie wollte nur frei von den Stimmen sein.«
Der pragmatische Ton verbarg tiefen Schmerz, der schlanke Körper eine große Kraft. Alles an Sienna war ein einziger Gegensatz. Doch etwas musste er noch wissen. »Du gehörst mir«, sagte er. »Hast du verstanden?« Er hatte ihr versichern wollen, dass sie keine Angst zu haben brauche, er würde sie verlassen, doch plötzlich hielt er nur noch angespannte Muskeln und steife Gliedmaßen im Arm.
»Ich werde dir nie gehören, solange du nicht mir gehörst.«
Er packte mit der Faust in ihr Haar und versuchte, einigermaßen sanft zu antworten. »Ich kann nicht dein Gefährte sein.« Von Anfang an war er ehrlich zu ihr gewesen, hatte gehofft, sie würde sich dadurch nicht verletzen lassen.
»Ich weiß.«
Angespanntes Schweigen … was gab es da noch zu sagen?
Dann ergriff Sienna das Wort. »Ich glaube nicht, dass der Angriff bedeutet, dass die Scotts wollen, dass alles eskaliert.«
Er versuchte nicht, mit Gewalt zu dem ursprünglichen Thema zurückzukehren, obwohl sein besitzergreifendes Herz ihre Antwort nicht gemocht hatte, selbst wenn es unfair war, mehr von ihr zu verlangen, als er ihr geben konnte. »Das musst du mir erklären.«
»EsgehörtzurStrategiederNadelstiche,überdiewirschoneinmalgesprochenhaben.«Selbstbewusst,nichtserinnertemehrandieTränenaufseinerBrust.»DieRatsmitgliederwisseninzwischensehrgenau,wieeinRudelfunktioniert.Siegehendavonaus,dassihrnacheinemsolchenAngriffdieJungenundVerletzlichenevakuierenwerdet – undwerdenineinemHinterhaltaufeuchwarten.«
Eis legte sich um Hawkes Herz bei dem Gedanken, den Jungen könnte etwas geschehen.
»Die zielgerichteten Angriffe mit Flugzeugen, die eure Abwehr unterlaufen, belegen, dass, wer immer dahintersteckt, sich umfassend informiert hat«, fuhr Sienna fort. »Meiner Meinung nach sind die Angreifer zu dem Schluss gekommen, eine Vernichtung der Jungen würde das Rudel am meisten demoralisieren.« Kalt und klar klangen die Worte, aber er beging nicht den Fehler, anzunehmen, Sienna würde es nichts ausmachen. Er wusste genau, wie viele Stunden sie freiwillig in der Weißen Zone mitgeholfen hatte, wo viele Junge sie »Sinna« nannten und ihr die Arme entgegenstreckten, um hochgenommen zu werden.
Doch die Tatsache, dass sie eine Möglichkeit ins Auge fasste, bei der sich ihm der Magen umdrehte, bewies deutlich, an welch dunklem Ort sie aufgewachsen war. Sie hatte ihre Kindheit an der Seite einer Bestie verbracht. Hatte sich aber ihre Persönlichkeit bewahren können, ihre Seele. Verdammt, er war wahnsinnig stolz auf sie.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Sie machte zwar keine Anstalten dranzugehen, aber nun konnten sie die Tatsache nicht mehr ignorieren, dass die gemeinsame Zeit zu Ende ging. »Ich sollte aufbrechen«, sagte er.
»Ja, natürlich.« Sie setzte sich im Bett auf, als er sich erhob.
»In einer Stunde«, sagte er und sah auf die altmodische Uhr, die sie wohl in einem Secondhandladen gefunden hatte. »Da findet eine
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