Lockruf des Verlangens (German Edition)
hatte. »Nach unseren Informationen ist der einzelne Stern Kaleb Krycheks persönliches Emblem. Wir hatten uns darauf verständigt, dass er nicht beteiligt ist, aber was, wenn er alle zum Narren hält?«
Aller Augen richteten sich auf Judd. Der drehte das Metallstück in den Fingern. »Kaleb ist schwer einzuschätzen, aber mein Instinkt sagt mir, dass jemand versucht hat, die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken, um uns zu verwirren.«
Indigo nahm ihm das Stück aus der Hand. »Gibt es eine Möglichkeit, deine Vermutung zu bestätigen?«
»Ich werde Luc bitten, mit Nikita zu sprechen«, sagte Hawke, dem es noch immer gegen den Strich ging, mit Ratsmitgliedern gemeinsame Sache zu machen. Aber abgesehen von seinem Misstrauen, stimmten sie in einem wichtigen Punkt überein: Diese Region gehörte ihnen, sie würden sie verteidigen.
Er sah Sienna an und nickte. »Es gibt noch etwas, das ihr alle wissen solltet.«
Sienna hatte schon unerschrocken mit Ratsmitgliedern geredet, ihr Onkel war ein früherer Pfeilgardist, und sie hatte gerade eine Nacht mit dem Leitwolf verbracht. Dennoch war ihr Mund trocken, und sie hatte einen Knoten in der Zunge. Hawkes wegen. Denn indem er sie hierherbrachte, hatte er seinen Stolz mit dem ihren verbunden.
Doch dieser Gedanke gab ihr nun auch die nötige innere Gelassenheit. Denn ganz egal, was sie heute Morgen auch gesagt hatte, sie liebte ihn, und dieses Gefühl gestattete keine Distanz, selbst wenn sie sich dadurch Verletzungen erspart hätte. Er würde sie nicht als Gefährtin annehmen, das konnte er nicht, doch sie würde ihm alles geben. Weil sie auch nicht anders konnte.
»Erzähl den anderen, was du mir gesagt hast«, sagte er, als sie aufstand, damit alle sie sehen konnten.
Sie erklärte ihnen, wie wahrscheinlich es war, dass die Medialen in einem Hinterhalt auf die verwundbarsten Gefährten warteten.
»Das klingt sehr überzeugt«, sagte Cooper. Sie sprachen zum ersten Mal miteinander, obwohl er ihr schon in der Höhle begegnet war. Die gezackte Narbe auf seiner linken Wange hob sich deutlich von der bronzefarbenen Haut ab, doch ihre Aufmerksamkeit war auf die fast schwarzen Augen gerichtet. »Nichts für ungut, du bist sicher klug, aber auch noch sehr jung und schon einige Zeit nicht mehr im Medialnet.«
Sie zog sich nicht zurück, denn mit Krieg kannte sie sich aus. Und nicht nur das, sie hatte lange genug im Dunkeln gelebt, um selbst das Schrecklichste in Erwägung zu ziehen. Im Gegensatz dazu gestattete ihr Ehrenkodex den Wölfen nicht, bestimmte Handlungen ins Auge zu fassen. »Ich weiß, ihr vermutet, dass Henry und Shoshanna hinter all dem stecken«, sagte sie. »Anscheinend sind sie die Haupttäter. Doch die Strategie – ist pure Ming-Taktik.«
Judd schüttelte den Kopf. »Nichts deutet darauf hin, dass Ming darin verwickelt ist. Anthony und Nikita zufolge hat er sich im Rat sogar gegen die Scotts gestellt.«
Unter normalen Umständen hätte sich Sienna Judds größerer Erfahrung gebeugt, doch ihr Onkel hatte nicht zehn Jahre in Mings Nähe verbracht, hatte nicht mit jedem Atemzug dessen militärische Taktiken eingesogen oder die vielen Gesichter gesehen, zwischen denen er mit Leichtigkeit wechseln konnte. »Henry Scott hat in den letzten Monaten eine hohe Aggressivität entwickelt«, sagte sie nun und konzentrierte sich ausschließlich auf die Fakten. »Aber er hat nie in dieser Größenordnung operiert. Was auch immer ihn antreibt, er hat weder die Ausbildung noch die Fähigkeiten, eine solche Aktion ohne entscheidende militärische Unterstützung in Gang zu setzen.« Sie erwähnte es zwar nicht, aber sie hatte schon länger das ungute Gefühl, dass Ming auch in die anderen Angriffe auf ihrem Land verwickelt war – im Grunde konnte er Henry schon länger »hilfreich zur Seite« gestanden haben, als irgendjemand ahnte.
Nun meldete sich Jem zu Wort, auf ihrer Stirn hatten sich tiefe Furchen eingegraben. »Sie hat recht. Ich habe es zu meinem Hobby gemacht, mich über den Rat auf dem Laufenden zu halten – «
»Schönes Hobby«, murrte Riaz und kratzte an dem Verband unter seinem schokoladenbraunen Hemd – bis Indigo sich vorbeugte und ihm mit dem Stift auf die Finger klopfte.
»Ja, wirklich faszinierend.« Jem verdrehte die Augen und fuhr fort. »Vor ein paar Jahren noch war Henry meistens nur Teilhaber an Dingen, die Shoshanna ausheckte. Offensichtlich hat sich das geändert, aber ich stimme Sienna zu. Keinesfalls könnte er plötzlich zum militärischen
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