Lockruf des Verlangens (German Edition)
ist jetzt sicher sauber.«
Sie reichte ihn ihm hinüber, damit er ihn abtrocknen und wegstellen konnte, wischte das Becken aus und verabschiedete sich schnell. Erst als sie unter den dunkelgrünen Kronen der hohen Bäume stand, wurde ihr klar, wie sehr sie in den Stunden in der Küche die kühle Luft der Sierra vermisst hatte. Vor ihrer Abkehr vom Medialnet hatte sie ihre Tage und Nächte in Hochhäusern mitten in der Stadt verbracht, hatte gar nicht gewusst, dass es noch etwas anderes gab. Nun hatte sie nicht nur die raue Schönheit der Berge kennengelernt, sondern auch Freunde gefunden und festgestellt, dass Familie nicht nur genetisches Erbe bedeutete.
»Ich habe mich entschieden«, erklärte sie dem Mann, der lautlos wie ein Auftragskiller an ihre Seite getreten war. »Ganz egal, was passiert, ich werde weder ins Medialnet noch zu Silentium zurückkehren.« Diese Möglichkeit hatte sie ins Auge fassen müssen, als es so aussah, als entwickelten sich ihre Fähigkeiten unaufhaltsam auf ihre zerstörerischen Kräfte zu.
Judd ging nicht näher darauf ein. »Wie gut funktioniert deine Selbstkontrolle?«
»Erstklassig.« Die Zeit fern der Höhle in Gesellschaft anderer Abtrünniger, unter denen sich auch eine geniale Konstrukteurin von Abwehrschilden befunden hatte, hatte ihr eine zweite Chance verschafft. Sie würde nie vergessen, dass der Tod in ihr lauerte, aber – »Ich werde es schaffen. Ich werde dem Mistkerl ins Gesicht spucken, der uns alle zum Tod verdammt hat.«
Judd widersprach ihr nicht, Sienna würde dieses Selbstvertrauen bitter nötig haben, wenn sie die kommende dunkle Zeit überstehen wollte. Er wusste etwas, von dem sie keine Ahnung hatte. Er hatte es all die Jahre in seinem Herzen bewahrt und würde es auch weiterhin so halten. Denn sonst könnte sich eines Tages die bittere Wahrheit als selbsterfüllende Prophezeiung entpuppen.
Als Sienna zehn Jahre alt wurde, hatte er sich mithilfe eines befreundeten Gardisten in die Geheimarchive des Rats gehackt, der wusste, dass Sienna eines Tages ebenfalls in der Garde landen konnte. Aber nur er hatte die Berichte gelesen, die hundertfünfzig Jahre zurückreichten, nur er kannte die brutalen Fakten: Noch nie war ein X-Medialer älter als fünfundzwanzig geworden, selbst unter Silentium nicht.
Und die Kräfte des ältesten hatten bei drei Komma vier auf der Skala gelegen.
Sienna lag oberhalb des Messbaren.
In der ersten Woche in den Bergen hatte sich Hawke von allen Lebewesen ferngehalten. Er war für niemanden ein guter Gesellschafter. Die wilden Wölfe waren ihm ihrerseits aus dem Weg gegangen, nachdem er sie angeknurrt hatte …, drängten sich aber nachts an ihn, wenn sie alle in einem großen Haufen beisammenlagen. Angesichts der ihm entgegengebrachten Zuneigung war es schwer, weiterhin schlechte Laune zu haben, doch Hawkes Wolf machte ihm ziemlich zu schaffen.
Und die verdammten Träume waren auch nicht gerade hilfreich.
Rubinrotes Feuer und weiche Haut mit einem Goldschimmer; Herbstduft und seltene, wilde Gewürze. Ihr Echo verfolgte ihn, nahm seidenweich seine Sinne gefangen, sobald er die Augen schloss.
Seine Träume waren so wirklichkeitsnah, so lebendig, dass er mit einem Ständer aufwachte, wütend auf sich selbst, weil er die Kontrolle über sich verlor. Das Ergebnis war, dass er zwar schlanker, aber noch schlechter gelaunt in die Höhle zurückkehrte. Er war bis zur Erschöpfung gerannt, sein Wolf benahmsich nun einigermaßen, aber die kleinste Provokation, die leichteste Berührung würde alles zunichtemachen. Dennoch musste er an sich halten, um der Versuchung zu widerstehen, Sienna sofort zu suchen, damit sie wusste, dass er wieder da war.
Er warf seine Sachen ins Schlafzimmer und zog das T-Shirt über den Kopf, als ihm eine vertraute weibliche Witterung in die Nase stieg. Knurrend riss er die Tür auf. »Sag bloß nichts«, blaffte er Indigo an.
Frisch geduscht, in einem weißen T-Shirt und Jeans, das Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, lächelte Indigo ihn an und maß ihn ganz langsam von oben bis unten mit ihren Blicken. »Schlaflose Nächte haben durchaus ihre Vorteile.«
Hawke fletschte die Zähne. »Hau ab und gaff lieber deinen Gefährten an.«
Indigo schnaubte. »Wenn Drew hier wäre, hätte ich keine Augen für dich.«
»Hau ab.«
»Werd ich – sobald ich bekommen habe, was ich will.«
»Was denn?«
»Moment noch«, sagte Indigo und spähte in den Flur. »Da kommt sie schon.«
»Tut mir leid«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher