Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
Bibliothek. Die Männer waren verschwunden. Nur der alte Bert Starkins wartete noch füßescharrend neben der Haustür, eine Silhouette im Halbdunkel, begierig, seinen Kollegen zu folgen.
»Noch zehn Minuten, Sir!«, rief er seinem Arbeitgeber zu.
Fairfax sah uns fragend an. »Mr Lockwood?«
»Zehn Minuten geht in Ordnung. Länger brauchen wir nicht.«
Wir räumten schweigend unter den hohen, schmalen Fenstern der Galerie unsere Taschen aus, suchten die Ausrüstung zusammen, befestigten sie und zogen die Gurte stramm. Weil wir die Leuchtbomben zu Hause gelassen hatten, hatten wir die übrige Ausrüstung ein bisschen aufgestockt.
Ich trug meinen Degen am Gürtel, dazu eine Taschenlampe samt Reservebatterien, drei Kerzen plus Feuerzeug und Streich hölzern, fünf kleinere Silberplomben, drei Tüten Eisenspäne, drei Salzbomben, drei Fläschchen Lavendelwasser, mein Thermometer und mein Notizbuch samt Stift. Quer über meine Brust spannte sich wie eine Schärpe ein zweiter Gurt, der mit ei ner Doppelreihe Plastikdosen bestückt war. Jedes Behälterpaar enthielt jeweils zweihundertfünfzig Gramm Eisenspäne und zweihundertfünfzig Gramm Salz. Obendrein trug ich eine zwei Meter lange, aufgerollte Eisenkette über der Schulter, die mit Luftpolsterfolie umwickelt war, damit sie nicht so klirrte. Und zu guter Letzt hatte ich in der Jackentasche ein Päckchen Notproviant: einen Energydrink, zwei Brote und einen Schokoriegel. Die Thermosflasche mit dem heißen Tee, die längeren Ketten und größeren Plomben waren in einer großen Tasche verstaut.
Außer meinen üblichen Sachen hatte ich Thermohandschuhe, eine Thermoweste und entsprechende Leggings sowie ein zusätzliches Paar dicke Socken übergezogen. Für die Mütze war es noch nicht kalt genug, darum stopfte ich sie in die Tasche. Außerdem trug ich natürlich den Behälter mit Annie Wards Kette um den Hals.
Meine Kollegen waren ähnlich ausstaffiert. Lockwood hatte außerdem noch seine dunkle Brille in die Brusttasche seines Mantels gesteckt. Die Waffengurte waren schwer und hinderlich, aber dafür trug jeder von uns genug Eisen bei sich, um sich im Notfall auch allein verteidigen zu können. Falls wir getrennt wurden, konnte sich jeder seinen eigenen Bannkreis ziehen. In unseren Reisetaschen hatten wir außerdem noch doppelreihige, fünf Zentimeter dicke Ketten, die selbst den stärksten Besuchern standhielten, aber die würden wir vermutlich gar nicht brauchen.
Wir waren fertig. Das Licht vor den Fenstern war fast verloschen. Drüben im Kamin tanzten nur noch vereinzelt kleine orangefarbene Flämmchen. Dunkelheit kroch über die hohe Decke der Langen Galerie und sammelte sich in den Winkeln und Windungen der mächtigen Steintreppe. Und wenn schon! Der Tag war um, die Nacht brach an und die Besucher des Herrenhauses erhoben sich, aber das Team von Lockwood & Co. war bestens gerüstet. Wir hielten zusammen und würden uns nicht bange machen lassen.
»Das wär’s dann wohl«, sagte Fairfax. Er stand neben Starkins an der Tür. »Morgen früh um neun komme ich wieder her und erwarte Ihren Bericht. Noch irgendwelche Fragen?«
Er schaute uns nacheinander auffordernd an. Lockwood stand mit der Hand auf dem Degenknauf da, seine Lippen umspielte das übliche leise Lächeln, so entspannt, als wartete er nur auf das nächste Taxi. Neben ihm stand George – so aufreizend gleichgültig wie immer, blinzelte er hinter seinen runden Brillengläsern hervor, die Hose fast bis zur Brust hochgezogen, damit sie dem Gewicht des schweren Gürtels trotzte. Und ich … Was für ein Bild gab ich wohl in diesen letzten Minuten ab? Hoffentlich ein gutes. Hoffentlich sah man mir meine Angst nicht an.
»Noch Fragen?«, wiederholte Fairfax.
Wir antworteten nicht. Wir warteten darauf, dass er endlich die Klappe hielt und ging.
»Dann bis morgen!« Er hob theatralisch die Hand zum Abschiedsgruß. »Viel Glück!« Er nickte seinem Verwalter zu und ging die Vordertreppe hinunter. Starkins zog die Haustür hinter sich zu. Einen Augenblick lang rahmten die mächtigen Türflügel seine gebeugte Gestalt ein, die sich wie ein knorriger Galgenbaum vor der Abenddämmerung abzeichnete, dann fielen sie krachend ins Schloss. Der dumpfe Widerhall pflanzte sich durch die Eingangshalle und die angrenzenden Räume fort und schien in den staubigen Fluchten des Hauses nicht verebben zu wollen.
»Wär das nicht lustig, wenn Fairfax seinen Stock vergessen hätte?«, sagte George. »Dann müsste er noch mal
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