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Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Titel: Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Telefon auf ein Tischchen neben eine bemalte Vase stellte. »Die Quelle der Heimsuchung befindet sich zweifelsohne im ältesten Teil des Hauses. Also in der Eingangshalle, der Langen Galerie oder höchstwahrscheinlich oben. Hoppla – passen Sie doch auf!« Zwei Angestellte entrollten gerade das Telefonkabel neben dem Tisch. »Die ist aus der Han-Dynastie! Haben Sie eine Ahnung, wie wertvoll die ist?«
    Fairfax schimpfte weiter, aber ich hörte nicht mehr hin. Ich schlenderte durch die Eingangshalle und lauschte mit all meinen Sinnen, aber in der wachsamen Stille war nur mein eigener Herzschlag zu spüren. Vor mir schwang sich die große Treppe zum ersten Absatz empor und verschmolz weiter oben mit der Dunkelheit. In jede zweite Geländersäule waren seltsame Geschöpfe mit Schuppen und Hörnern gemeißelt, die alle eine kleine Sockelplatte in den Klauen hielten.
    George kam zu mir und murmelte: »Hörst du was?«
    »Eher im Gegenteil. Es ist alles wie zugedeckt.«
    »Wie ich sehe, bewundern Sie die berühmte Seufzende Treppe!« Fairfax hatte sich wieder zu uns gesellt. »Sehen Sie die Drachen auf den Balustern? Auf den Sockelplatten soll damals der Rote Herzog die Schädel seiner ermordeten Feinde zur Schau gestellt haben. Wer weiß, vielleicht können Sie die Geschichte ja morgen früh bestätigen. Wobei ich um Ihretwillen hoffe, dass Sie die Treppe nicht schreien hören.«
    Tock-tock-tock , stieg er auf seinen Stock gestützt die Stufen hoch. Wir folgten ihm in schweigender Prozession und öffneten uns dabei unseren Wahrnehmungen. Ich ließ die Hand über das Geländer gleiten und versuchte lauschend, irgendwelche übernatürlichen Spuren zu entdecken.
    So schritten wir unter dem Fenster entlang, durch das die letzten Strahlen der Abendsonne auf uns fielen, erklommen den nächsten Treppenabschnitt und erreichten schließlich auf halber Höhe einen breiteren Absatz. Ein dunkelroter Läufer und eine rote Vliestapete schluckten jeden Laut. Es roch hier oben eigenartig süßlich, wie schwerer tropischer Blumenduft mit einem Hauch von Verwesung. Ein langer, breiter Flur, an den ich mich noch von Georges Plänen erinnerte, führte, der Flucht des Hauses folgend, von Osten nach Westen. Auf beiden Seiten reihten sich Türen aneinander. Manche standen halb offen und ich erhaschte einen Blick auf dunkle Möbel, Ölgemälde und Spiegel in wuchtigen Goldrahmen. Fairfax schenkte alldem keine Beachtung. Ohne nach rechts und links zu schauen, stapfte er den Flur entlang und blieb erst vor der Tür am westlichen Ende stehen.
    Ob es nun vom Treppensteigen kam oder von der muffigen Luft hier oben, jedenfalls atmete er schwer.
    »Hinter dieser Tür«, sagte er nach einem Augenblick, »befindet sich der Raum, von dem ich Ihnen erzählt habe. Das Rote Zimmer.«
    Es war eine schwere Holztür, geschlossen und verriegelt, nicht viel anders als all die anderen, an denen wir vorbeigekommen waren. Bis auf das Zeichen, das sie trug. Jemand hatte irgendwann ein großes, schiefes X in die mittlere Türfüllung gehackt. Eine Kerbe war kurz, die andere lang, beide waren mit Gewalt tief ins Holz getrieben worden.
    Fairfax stützte sich auf seinen Stock. »Hören Sie gut zu, was ich Ihnen jetzt sage, Mr Lockwood. Weil dieses Zimmer besonders gefährlich ist, bleibt es immer verschlossen. Ich möchte Ihnen nun den Schlüssel aushändigen.«
    Er machte eine große Sache daraus, klopfte seine sämtlichen Anzugtaschen umständlich ab und kramte in einer nach der anderen herum. Schließlich kam der Schlüssel zum Vorschein: Klein und golden hing er an einem dunkelroten Band. Lockwood nahm ihn nonchalant entgegen.
    »Ich gehe davon aus, dass die Heimsuchung in diesem Raum ihre Quelle hat«, fuhr Fairfax fort. »Ob Sie sich selbst davon überzeugen wollen, bleibt Ihnen überlassen. Sie müssen das Zimmer nicht betreten. Sie werden sicherlich auch schon von hier draußen spüren, dass ich recht habe.«
    Mag sein, dass er noch mehr dazu sagte, aber ich war vollauf damit beschäftigt, das zarte eindringliche Raunen auszublenden, das die Stille des Hauses plötzlich brach. Die raunenden Stimmen waren ganz nah und sie gefielen mir überhaupt nicht. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Lockwood aschfahl geworden war. Sogar George war blass um die Nase und klappte seinen Kragen hoch, als fröstelte ihn.
    * * *
    Das Telefon in der Eingangshalle war endlich neben der Vase installiert. Sein Kabel schlängelte sich über die Bodenfliesen bis zu einer Buchse in der

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