Lodernde Begierde
Euch zu entführen, Ihr werdet schon sehen.«
Sophie schaute in den Spiegel. Sie sah sich kein bisschen ähnlich – mit anderen Worten: Sie war schön. Es fühlte sich wie eine Lüge an, doch waren das nicht ihre Augen? War es nicht ihre natürliche Größe, ihr Haar, ihre bloßen Arme, ihr langer Hals? Wie konnte es eine Lüge sein, wenn es nur an einem anderen Kleid und einem bisschen Puder und Rouge lag?
Und einer Maske.
Patricia reichte ihr die unerhört ausgefallene Maske, eine weiße, mit Eulenfedern und Perlen bedeckte Kreation, die als ein Kunstwerk an der Wand hätte hängen sollen und nicht in ihrem Gesicht. Doch sie bedeckte perfekt ihre Nase, während sie ihre Augen auf eine Art und Weise entblößte, die sie groß und unergründlich wirken ließ. Jetzt war sie wirklich eine ganz und gar andere. Jetzt war sie wirklich Sofia.
Sophie gab es nicht mehr.
Es gibt nichts, weswegen Ihr Euch schämen müsstet. Ihr seid genau so, wie Ihr sein solltet, eine Sylphide, ein Schilfrohr am Ufer, eine schlanke Flamme.
Lementeurs Worte klangen dünn und schwach und waren wegen der hämmernden Angst und der Unsicherheit, die ihr den Atem nahmen, kaum noch zu vernehmen.
Wenn das hier eine Maske war, dann konnte sie ihr genommen werden. Wenn es gelogen war, konnte sie überführt werden. Der Bücherwurm, die einfache, auf gesellschaftlichem Parkett linkische Sophie Blake konnte niemals Sofia werden. Niemals, es war unmöglich, es war alles ein schreckliches Versehen – sie wäre nie und nimmer in der Lage, das durchzuziehen.
Warum nicht? Du hast schon viel Schlimmeres getan.
Ja, und nun sehe man sich an, wozu das geführt hatte. Sie zwang sich, langsam und tief zu atmen. Es stimmte hoffentlich, dass eine Lüge mehr oder weniger keine Rolle spielte. Wenn sie es unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hierher nach London geschafft hatte, dann würde sie es gewiss auch auf den Tanzboden eines Ballsaals schaffen.
Sophie war nur in der Lage gewesen, gerade so weit zu kommen. Jetzt musste Sofia den Job zu Ende bringen, oder ihre ganze Täuschung wäre zu nichts gut gewesen. Das wäre das Schlimmste. Wieder bei Null anfangen zu müssen.
Graham war dem Rat seines Kammerdieners gefolgt und begann seine Brautschau auf Lord und Lady Waverlys Maskenball. Er hatte kein Kostüm, weshalb er beschlossen hatte, als Herzog zu gehen. Er trug seine übliche Abendkleidung und fügte nur noch eine einfache, schwarze Maske hinzu. Er war nicht der einzige Mann, der sich an dem überbordenden Wahnsinn nicht beteiligte.
Es hätte ihm nicht geholfen, wenn er sich hinter einer Verkleidung als Heinrich VIII. versteckt hätte, denn aller Augen ruhten auf ihm, sobald er den Ballsaal betrat.
Erst an diesem Morgen hatte die allwissende, doch unsichtbare Voice of Society verkündet, dass er ab sofort den Titel eines Herzogs trug. Als er nach seinem erfolglosen Versuch, Sophie zu besuchen, nach Eden House zurückgekehrt war, war der Stapel an Einladungen so hoch gewesen, dass die Karten von dem Silbertablett rutschten.
Jetzt hatten die Mütter der gehobenen Gesellschaft ihn so fest im Blick wie nie zuvor. Ein armer vierter Sohn war nicht zu vergleichen mit einem Mann, der ihre Töchter zu einer Herzogin machen konnte.
Na gut. Er würde seine Pflicht erfüllen und sich eine Erbin suchen. Zum Glück waren einige beim Maskenball anwesend. Graham kannte die Mütter vom Sehen. Alle jungen Männer mit einem Titel kannten sie, wenn auch üblicherweise, um ihnen aus dem Weg gehen zu können.
An diesem Abend stellte sich Graham ihnen zur Verfügung. Väter kamen zu ihm, um sich mit ihm müßig über das Wetter zu unterhalten, über den besten Tabak, die Pferderennen und Oh-habt-Ihr-meine-reizen-de-Tochter-bereits-kennengelernt?
Graham lächelte. Er verneigte sich. Er tanzte wie der Tanzbär, der er war. Für ein paar Münzen und eine Erbin würde er einen Kopfstand machen. Es gab große und kleine, dünne und einige erstaunlich kurvenreiche.
»Wie gefällt Euch Eure erste Saison, Miss Millionpound? « Er konnte den Blick nur mit Mühe auf ihrem Gesicht lassen. Sie war blond, gut entwickelt und trug ein herrliches Bauernmädchen-Kostüm aus himmelblauer Seide mit vielen Reihen altmodischer weißer Rüschen an ihrem bemerkenswerten Dekolleté und eine Schleife im Haar.
Sie besaß ein gewisses Potenzial, denn er hielt es für ziemlich verwegen, ein Milchmädchenkostüm zu tragen, wenn sie selbst so … gut bestückt war.
»Saison?« Blaue Augen
Weitere Kostenlose Bücher