Lodernde Begierde
oberflächlich, um wirklich zu lieben? Vielleicht war sein Sehnen nach Sophie das eines verzogenen Balgs, das ein Spielzeug erst dann haben will, wenn es ihm verwehrt wird.
Gott, wenn es doch nur so wäre. Andernfalls würde der Rest seines Lebens sehr, sehr langsam und qualvoll an ihm vorbeiziehen.
Indem Sophie den feinen Trick anwendete, den anderen Fußspuren im Staub zu folgen, fand sie auf verschlungenen Pfaden ihren Weg in einen Raum, der früher einmal Grahams Zimmer gewesen sein musste. Es war der einzige Raum im Haus, neben ihrem eigenen, der keine mörderische Sammlung von tierischen Leichen und Körperteilen beherbergte.
In einer Truhe am Fuße des Bettes fand sie Kleider. Schöne, wundervolle Kleider. Sie mussten Graham gehört haben, als er ein Jugendlicher gewesen war, denn sie würden ihm jetzt nicht mehr passen. Glücklicherweise passten sie Sophie recht gut. Nachdem sie ein Halstuch gefunden hatte, um damit ein riesiges Hemd zu gürten, die Spitzen der Stiefel ausgestopft hatte, um sie etwas kleiner zu machen, und sich das Haar unter eine Kappe gesteckt hatte, kam sie sich vor wie ein richtiger Junge.
Es war ein ziemlich ungewohntes Gefühl, in zu großen Kleidern zu versinken. Fast fühlte sie sich dabei zierlich ! In ihrem Herzen rührte sich eine überraschende Bereitschaft, Graham zu vergeben. Das konnte nicht angehen !
Wenn sie nicht entführt, beraubt und verlassen worden wäre, hätte sie überhaupt keine Veranlassung, sich derart lächerlich zu kleiden!
Wütend und erneut peinlich berührt wegen des ganzen Durcheinanders, ging sie die Treppe zur Eingangshalle hinunter. Graham hatte diese Tür abgeschlossen, aber hatte er das mit allen Türen getan?
Dann bemerkte sie, dass ihr Problem sehr einfach zu lösen war. Alle Räume rechts und links vom Haupteingang hatten Fenster, die sich zum terrassierten Bereich der Haupttreppe öffneten. Sie musste nur ein Fenster öffnen und hindurchklettern, schon war sie aus dem Haus und lief die Treppe hinunter.
Wenn sie in weniger als einer Nacht die Strecke reitend zurücklegen konnten, wie lange würde es dann wohl dauern, um nach London zurückzukehren? Sie hatte keine Ahnung, wie weit ein Pferd in einer Nacht laufen konnte, aber mit ihren langen Beinen und dem größten Teil des Tages noch vor ihr, konnte sie es schaffen.
Am Fuß der Treppe blieb Sophie abrupt stehen. Das Höllenpferd war vor dem Haus angebunden wie ein Wachhund. Wenn sie das Pferd nahm, könnte sie bei Anbruch der Nacht in London sein.
Als sie sich wieder bewegte, hob das Pferd den Kopf und schnaubte. Sie blieb stehen. War das eine Begrüßung oder eine Warnung gewesen? Sie verschränkte die Arme und schaute das Tier an. »Ich brauche dich nicht, du … du Höllenviech.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging die Auffahrt hinunter.
Sie hatte keine Angst vor dem Tier. Das wäre albern. Ihr war einfach nicht so bald wieder nach reiten zumute. Wenn sie unterwegs jemandem begegnen würde, der sie danach befragte, dann würde sie genau das antworten.
Hinter ihr schnaubte das Pferd noch einmal.
»So ein schöner Tag für einen Spaziergang«, sagte Sophie fröhlich zu niemandem. »Ich glaube, ich gehe einfach noch ein wenig schneller.«
Graham zögerte vor dem Zimmer, das er in Gedanken bereits »Sophies Zimmer« nannte. Er hatte keine Wahl. Er musste ihr von seinem Plan erzählen, sie nach London zurückzubringen und sie im Schutze der Dunkelheit nach Brook House zu schmuggeln. Er hoffte bloß, dass das Personal von Brook House nicht Alarm geschlagen hatte, weil sie letzten Abend nicht nach Hause gekommen war.
Wenn er vorher nachgedacht hätte, dann hätte er sie niemals hierher gebracht. Doch leider hatte er offenbar den Verstand verloren, als sie diesen Schurken Wolfe ihm vorgezogen hatte. Er konnte es seinem Schlafmangel zuschreiben, den schwermütigen Gedanken in seinem Kopf und dem Vollmond, der ihr Gesicht beschienen hatte, als sie ihm widersprochen und ihn ruhig abgewiesen hatte; aber es blieb eine Tatsache, dass er das Dümmste getan hatte, was er überhaupt hätte tun können.
Er hatte seinem eigenen Verlangen nachgegeben.
Jetzt musste er um ihr Verständnis und ihre Vergebung bitten und, das Schlimmste von allem, um ihre Hilfe, seinen lächerlichen Plan umzusetzen. »Sag in Brook House, dass du bei Tessa warst, und Tessa, dass du in Brook House warst, dann werden wir so tun, als wäre das alles nie passiert, und wir werden niemals mehr daran denken, das
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