Loderne Glut
Verandageländer. Nun war es passiert. Ein Stein war ins Rollen gekommen, der eine Lawine auslösen mußte. Kein menschliches Wesen konnte die Bedingungen draußen auf den Feldern tagelang ertragen, ohne zu explodieren.
Plötzlich richtete sich Amanda kerzengerade auf. Wo war Hank? Er hatte doch gesagt, daß er die Beschwerden der Pflücker vortragen wollte, aber er hatte nicht einmal zu Whiteys Begleitpersonen gehört. Hatte er beschlossen, sich den Forderungen nicht anzuschließen? War er am Ende zur Vernunft gekommen und hatte erkannt, daß dies nicht sein Kampf war?
Sie hätte fast gelacht, als sie sich das fragte. Hank Montgomery hatte nicht einen feigen Knochen im Leib. Er hatte J. Harker Caulden, einen Mann, der seine Familie in Angst und Schrecken versetzte, furchtlos die Stirn geboten und ihm getrotzt, wenn er eine andere Meinung vertrat. Er war solchen fanatischen Männern wie Whitey Graham erfolgreich entgegengetreten. Hank hatte mitten in Kingman eine Gewerkschaftszentrale errichtet, und als die Bürger nachts mit Farbe »Verschwindet aus der Stadt« auf die Hauswände gepinselt hatten, hatte er nur mit den Achseln gezuckt und Joe angewiesen, die Parolen mit weißer Farbe zu übertünchen.
Nein, der Grund für Hank Montgomerys Abwesenheit vom Beschwerdenkomitee war sicherlich nicht Feigheit oder Interesselosigkeit. Was hatte ihn also gehindert, hier zu erscheinen? Etwas Furchtbares mußte draußen auf den Feldern geschehen sein.
Ohne lange zu überlegen, machte sie sich auf den Weg. Aber noch ehe sie die Grenze des kühlen, schattigen Gartens überschritten hatte, spürte sie eine Hand auf ihrem Arm.
»Hast du dich jetzt doch entschlossen, ohne mich durchzubrennen?« fragte Grace leichthin, aber Amanda bemerkte die Sorge in ihrer Stimme.
»Die Gewerkschaftsvertreter haben Vater ein Ultimatum gestellt«, erklärte Amanda.
Grace seufzte. »Ich kann mir denken, wie er die Forderung aufgenommen hat.«
»Er hat den Sprecher der Delegation geohrfeigt. Nur -Hank gehörte nicht zu der Abordnung, die Vater die Beschwerden überbrachte.«
Grace runzelte die Stirn. Sie spürte die Angst ihrer Tochter. »Ich verstehe das nicht. Glaubst du, Dr. Montgomery hätte mehr erreicht, wenn er mit deinem Vater verhandelt hätte ?«
»Hank sagte zu mir, daß er die Beschwerden der Arbeiter vortragen würde. Aber er tat es nicht. Mutter, ich fürchte, daß etwas passiert ist. Ich spüre das. Ich muß Hank suchen.«
Grace Caulden nahm den Koffer auf, den sie gerade gepackt hatte. »Dann laß uns gehen. Wir werden ihn finden.«
»Die Felder sind grauenhaft«, warnte Amanda und sah ihre Mutter besorgt an. »Die Leute sind . . .«
Grace nahm die Hand ihrer Tochter. »Es wird Zeit, daß wir beide etwas unternehmen, nicht wahr? Es wird Zeit, daß wir aufhören, uns auf unseren Zimmern zu verkriechen.«
»Ja«, stimmte Amanda zu, und gemeinsam gingen sie auf die Felder hinaus.
Sie suchten zwei Stunden lang. Sie gingen in jedes Zelt, in jede schmutzige kleine Erdhütte, stiegen über unbeschreibliche, stinkende Haufen aus Abfällen und Unrat hinweg, ließen viele gehässige und anzügliche Bemerkungen über sich ergehen. Sie fragten jeden, gebrauchten jede Sprache, die Amanda beherrschte. Sie verständigten sich mit Handzeichen. Sie erkundigten sich auf jede nur erdenkliche Weise, aber niemand hatte Dr. Montgomery in den letzten vier Stunden gesehen.
Whitey Graham stellte sich ihnen in den Weg, als ihre Suche schon in die dritte Stunde hineinging. »Sie beide gehören zur Caulden-Familie.« Seine Augen glühten in der zunehmenden Dunkelheit. »Die Leute hier sind im Augenblick nicht sonderlich gut zu sprechen auf die Cauldens. Sie sollten deshalb lieber das Lager verlassen.«
»Ich möchte wissen, wo Dr. Montgomery ist«, entgegnete Amanda und überwand ihre Angst vor diesem Mann.
Whitey grinste. »Er ist vor etlichen Stunden mit einer hübschen Lady weggefahren. Seitdem habe ich ihn hier nicht mehr gesehen. Vielleicht ist er . . .« Er ließ den Rest des Satzes unausgesprochen, doch sein anzügliches Grinsen war deutlich genug.
Amanda versteckte ihre zu Fäusten geballten Hände in den Falten ihres Rockes. »Ich werde ihn holen. Ich werde ihn an den Haaren herzerren ... ich werde ihn aus dem Bett holen, wenn es sein muß, und dann wird er mit meinem Vater reden. Sie werden Ihre Lohnerhöhung durchsetzen. Hank wird schon einen Weg finden, um meinen Vater zu überzeugen.«
Whitey lächelte auf eine tückische Weise.
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