Loderne Glut
Badezimmer benützt hatten, hatte sie ihn noch nie in Hemdsärmeln gesehen, wie sich ihr Dr. Montgomery schon bei der ersten Begegnung präsentiert hatte.
Nun trug er einen schlichten, fast zu lässigen braunen Anzug und hatte eine Art, auf dem Stuhl zu sitzen, die nicht ganz schicklich war.
»Habe ich mich verspätet?« fragte er. »Tut mir leid. Es dauerte eine Weile, bis ich alle Münzen wieder beisammen hatte, die ich im Flur verlor. Ich kann mir nicht leisten, sie einfach liegenzulassen - nicht bei meinem Gehalt«, sagte er und lächelte Amanda an, als handelte es sich um einen Witz, den nur sie beide verstanden.
Amanda erwiderte sein Lächeln nicht. »Ich dachte mir, daß wir uns über die wesentlichen Thesen Ihres Buches unterhalten könnten, Dr. Montgomery.«
Hank blickte voller Erstaunen auf seinen Teller. Es wurden keine Platten oder Schüsseln mit Fleisch oder Beilagen serviert, nur Teller mit etwas, das ihm eine Krankenhaus-Diätkost zu sein schien: blasses, wäßriges Fischfilet, ungefähr sechs grüne Bohnen und drei Scheiben Tomaten. Er hatte Hunger, und diese Mahlzeit würde nicht mal ein Loch in einem Socken ausfüllen, geschweige denn ein Loch in seinem Magen. Er blickte auf die Teller, die Taylor und Amanda vor sich hatten und die gleichermaßen bestückt waren wie seiner - nur daß Amandas Portion vielleicht noch winziger war als die anderen. Er mußte sich später etwas zu essen besorgen.
»Dr. Montgomery?« sagte Taylor.
Hank blickte ihn an. Dieser Driscoll, die Schultern gestrafft, den Nacken steif gereckt, nimmt sich eine Menge heraus, dachte Hank. Schließlich war er nur Amandas Verlobter und saß dennoch am Kopfende der Tafel im Haus eines anderen Mannes. Und warum wartete er noch damit, Amanda zu heiraten?
»O ja, Thesen«, murmelte Hank und nahm eine kleine Portion von seinem Fisch auf die Gabel. Er war so aromatisch wie ein schwammiges Stück Luft. »Ich denke, es dreht sich im wesentlichen darum, wem das Land gehört. Dem reichen Rancher oder dem Arbeiter? Hat der Rancher das Recht, die Arbeiter so zu behandeln, wie es ihm gefällt, oder wurde die Sklaverei abgeschafft? Wann werden Sie Miß Caulden heiraten?«
Amanda war sprachlos über die Anmaßung und Grobheit dieses Mannes; doch Taylor ging elegant über diesen Fauxpas hinweg, indem er so tat, als habe er die Frage gar nicht gehört.
»Ich glaube, das Land gehört dem Rancher. Die Arbeiter sind keine Sklaven, sie können gehen, wenn es ihnen beliebt«, erwiderte Taylor.
»Und ihre Frauen und Kinder verhungern lassen?« antwortete Hank. »Hören Sie - wir sollten uns lieber noch nicht in dieses Thema vertiefen.«
»Natürlich - Sie haben recht. Heute nachmittag wird Amanda Sie auf der Ranch herumführen, damit Sie einen Eindruck davon bekommen, wie so eine große Ranch funktioniert.«
Hank blickte über den Tisch zu Amanda hinüber und dachte, daß er lieber nicht mit ihr allein sein würde. Er fragte sich, wie lang ihr Haar wohl war, wenn sie ihren Zopf auflöste. Er hatte bereits seine karge Mahlzeit beendet und sah zu, wie sich Amanda und Taylor ihr geschmackloses Essen im Schneckentempo einverleibten. Sie benahmen sich so steif und züchtig; aber sie liebten sich und hatten sich die Ehe versprochen. Küßten sie sich leidenschaftlich unter den Palmen draußen? Schlich sich Amanda nachts in Taylors Zimmer?
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, suche ich mir eine Hängematte und verschlafe darin die Mittagshitze«, sagte Hank und bemerkte dann, daß die beiden jungen Leute ihn mit offenem Mund anstarrten. Was habe ich denn Falsches gesagt? überlegte Hank.
Taylor fing sich zuerst wieder. »Der Rundgang ist bereits arrangiert, und es gibt hier keine Hängematten«, erklärte er, als erwartete er keine weiteren Änderungen seiner Pläne mehr. Hank hätte diesem arroganten Hundesohn am liebsten Kontra gegeben; aber warum sollte er sich mit Taylor anlegen, wenn der ihm diese reizende Amanda aufzwang? Außerdem konnten sie dann gemeinsam in die Stadt fahren und sich etwas zu essen besorgen.
Amanda hatte gehofft, Taylor würde diesem Mann erlauben, den Nachmittag mit Faulenzerei in einer Hängematte zu vergeuden; aber das hatte er nicht getan, und er mußte seine Gründe dafür haben. Jedenfalls fügte sie Faulheit auf der Liste von Dr. Montgomerys schlechten Eigenschaften hinzu. Sie hatte bereits seine plumpen, zu legeren Tischmanieren registriert und seine Nachlässigkeit in der Kleidung. Wie viele Fehler würde sie wohl im
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