Löffelchenliebe (German Edition)
sie sich um einen Platz in der englischen Königsfamilie bewerben.
»Ganz ausgezeichnet«, stimmt Hinrich zu.
Lügner, denke ich, du hast in einer Tour gegähnt.
Hector schweigt. Mein Magen knurrt, und ich überlege, ob ich mir eine Brezel kaufen soll.
»Das Einzige, was mir immer wieder aufstößt«, sagt Hinrich und zieht seinen Kummerbund gerade, »sind die engen Hosen der Tänzer. Offensichtlicher geht es wohl nicht.«
»Geht was nicht ?«, frage ich betont beiläufig und nippe an meinem Champagner.
Hinrich schaut auf mich herab. »Offensichtlicher kann man ja wohl nicht zeigen, dass man schwul ist. Ich meine, welcher normale Mann würde sich Ballettschläppchen anziehen und mit eingeklemmten Schwanz durch die Gegend hüpfen ?«
Hector lacht laut und legt seinen Arm auf Hinrichs Schulter.
»Sofort runternehmen !«, ruft Hinrich mit gequälter Stimme und windet sich aus der Umarmung. »Sonst stehen hier gleich die Tunten Schlange und wollen auch mal.«
Hector, Hinrich und Silvia lachen.
»Sagt mal, geht’s noch ? !«, rufe ich empört.
Drei Augenpaare sehen mich überrascht an.
»Das ist Diskriminierung, was ihr hier macht !«
»Oh, oh«, sagt Hinrich und grinst. »Das Kätzchen fährt seine Krallen aus.«
Silvia formt mit ihren manikürten Fingern eine Kralle und gibt Fauchlaute von sich. Hinrich greift lachend nach ihrer Hand.
»Schon gut, Anna«, sagt Hector. »Wir machen nur Spaß.«
»Spaß ? !«, schreie ich. Und weil mir, wenn ich so aufgeregt bin wie jetzt, keine richtigen Argumente einfallen wollen, schreie ich einfach noch lauter: »Das ist kein Spaß !«
»Man hört Sie im gesamten Foyer, meine Liebe«, sagt plötzlich eine fremde Frauenstimme.
Und im nächsten Moment hat sich vor mir die Reinkarnation von Fräulein Düsterwalder materialisiert. Ganz so, wie ich sie in Erinnerung hatte: groß und knochig, glatte kinnlange Haare, durch die sich silberne Strähnen ziehen, ein Gesicht mit stechenden Augen, gerader Nase und kaum vorhandenen Lippen, die niemals auch nur andeutungsweise lächeln.
»Fräulein Düsterwalder«, flüstere ich und kann nicht anders, als ehrfürchtig zu klingen. »Was machen Sie denn hier ? Sie sind doch … tot.«
Sie wirft mir einen abschätzigen Blick zu und sagt in strengem Tonfall: »Hector, ich hoffe in unser aller Sinne, dass dies nicht Anna ist.«
Ich nehme wahr, wie Hector sich unter ihrem Blick windet.
»Doch, Mutter«, sagt er schließlich, »das ist Anna. Anna, darf ich vorstellen, meine Mutter – und mein Vater.«
Neben Fräulein Düsterwalder ist ein beleibter Herr aufgetaucht, der einen Smoking mit goldenen Abzeichen und Anstecknadeln trägt. Er erinnert an einen Kapitän und sieht Hector unheimlich ähnlich, älter natürlich und mit weißem Haarkranz, doch wenn ich mir Hectors Geheimratsecken so ansehe, ahne ich, wohin die Reise geht.
Fräulein Düsterwalder reckt das sehnige Kinn. »Wollen Sie uns nicht begrüßen, Anna ?«
Unter ihrem Blick werde ich zur Grundschülerin, die alleine in der Ecke steht und mit einem Zollstock im Rücken imaginäre Äpfel aus der Luft pflücken muss, während die anderen Mädchen aufrecht und grazil durch den Ballettsaal schweben.
»Doch, natürlich«, sage ich. »Guten Abend, Fräulein Düster…, ähm, Frau ST ?«
»Hector«, wendet sie sich nun abermals barsch an ihren Sohn, »versteckst du unseren guten Namen etwa immer noch hinter diesem albernen Kürzel ?« Und an mich gewandt, erklärt sie in belehrendem Ton: »Wir heißen Sten-gel-mann. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen.«
»Äh, nein. Guten Abend, Frau Stengelmann. Guten Abend, Herr Stengelmann.« Ich nicke beiden artig zu und suche Hectors Blick. Der jedoch sieht zu Boden.
Ich glaube, es ist an der Zeit, mir tatsächlich eine Brezel zu kaufen. Sonst kann ich nicht dafür garantieren, dass mein Magen nicht im nächsten Akt laut losknurrt, außerdem würde ich mich gerne von diesem Kriegsschauplatz entfernen. Als ich gerade mein Champagnerglas auf dem Stehtisch zwischenparken will, bereit, mich ins Getümmel zu stürzen, ruft Frau Stengelmann laut und schneidend: »Was ist denn das ?«
Die Gespräche um uns herum verstummen, und ohne es zu wollen, rutscht mir heraus: »Man hört Sie im gesamten Foyer, meine Liebe.«
Frau Stengelmann schnappt nach Luft und starrt unverwandt auf meine Hand, als läge darin eine tote Maus. Meint sie meine Fingernägel ? Okay, es sind keine French Nails wie die von Silvia, aber sie sind selbstverständlich
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