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Lösegeld am Henkersberg

Lösegeld am Henkersberg

Titel: Lösegeld am Henkersberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Gastwirt um die Gesundheit der Schüler.
    Carlo verneinte energisch. „Nicht im
geringsten. Ist weniger schädlich als eine Schlaftablette, wirkt etwa so wie
Baldriantropfen. Aber die Betäubung ist tiefer und hält länger vor. Die Kids
fallen in eine Art Winterschlaf.“
    Enrico, der am Lenkrad saß, blickte in
den Außenspiegel und stieß einen Sprühregen aus Spucke durch die Zähne.
    „Gluschke kommen. Jetzt sich
entscheiden, ob wir zuschlagen heute.“
    Ein mittelschweres Motorrad,
bronzefarben und gelb, röhrte heran. Gluschke hockte darauf, als wäre er wund
an der Sitzfläche. Das war seine übliche Elaltung. Er trug eine Lederjacke über
dem Overall und versteckte den Kopf unterm Helm.
    Enrico sprang aus dem Wagen.
    Gluschke nahm einen gefalteten Zettel
aus der Tasche. „Da! Alle Namen sind drauf, sagt Weidrich. In fünf Minuten ist
der Bus hier. Braucht ihr mich?“
    „Du zischen ab zu Schule und machen
deine Arbeit wie immer“, Enrico überflog bereits die Namen.
    Gluschke regulierte im Leerlauf das Gas
an seiner Maschine und wartete noch. Fand der Jahrhundert-Coup heute statt?
Oder behagte Enrico die Liste der Namen nicht? Gluschke wußte nicht, worum es
dabei ging. Sein Anteil würde 50 000 DM betragen, alles weitere interessierte
ihn wenig.
    Enrico sprang in die Höhe, wie mit der
Schere gestochen. Schneematsch spritzte, als er landete. Und nochmals hüpfte
der Gangsterboss von einem Bein aufs andere.
    „Alles klar!“ rief er. „Los, los! Wir
machen! Absperren! Avanti (vorwärts )!“
    Gluschke nickte, legte den Gang ein und
preschte in Richtung Schule. Für den Überfall war er nicht eingeteilt. Auf ihn
warteten spätere Aufgaben.
    Döbbel und Carlo sprangen aus dem
Wagen. Die Hecktür wurde geöffnet.
    Sie holten rot-weiß-markierte
Absperrungsböcke heraus, wie sie von Straßenbahnarbeitern gebraucht werden,
wenn die Durchfahrt nicht möglich ist. Dazu ein Schild mit der Aufschrift:
ACHTUNG UNFALL - GEFÄHRLICHE CHEMIKALIE AUSGELAUFEN — UMLEITUNG ÜBER
BRUNNDÖRFL/FIBIENHAUSEN
    Daß man auch auf diesem Weg zur
Internatsschule gelangen konnte, hatten die Ganoven erkundet. Es bedeutete drei
Kilometer mehr, und ab Fibienhausen wurde die Straße zum Feldweg. Aber welcher
Schüler nahm das nicht gern in Kauf — war doch damit die erste Stunde gelaufen.
    Döbbel und Carlo schleppten das Gerät
hinter eine kleine Gruppe mannshoher Fichten, die hier die Straße flankierten.
    Ein Wagen fuhr vorbei, und alle wandten
sich ab. Nur die Gesichter nicht zeigen! Doch Studiendirektor Silberschatz, der
überaus beliebte Deutschlehrer, war ohnehin so kurzsichtig, daß er kaum die
Brille auf der Nase sah. Er hielt den Kastenwagen für ein Gefährt der
Straßenarbeiter und dachte sofort wieder an das Aufsatzthema, mit dem er sich
trug. Es sollte lauten: Goethes Lust an Spaziergängen — und deren Auswirkungen
auf seine dichterische Kraft, vornehmlich ab 62. Lebensjahr.
    Enrico spähte in Richtung Stadt. Noch
war der Bus nicht zu sehen. Allerdings — nach knapp 100 Metern wurde der Blick
vom Nebel aufgesogen, und der dämpfte auch alle Geräusche.
    Döbbel kauerte sich hinter die Fichten.
    Enrico und Carlo sprangen in den Wagen.
    Ab die Post! Sie fuhren etwa 300 Meter.
Rechts auf den Feldern riß für einen Moment der Regenschleier auf. Wie ein
düsteres Gespensterschloß schob sich die Scheune hervor.
    Ein breiter Feldweg führte dorthin. Er
war fest, hätte einen Panzer getragen.
    Sie parkten den Kastenwagen hinter der
Scheune — feldwärts, denn der mächtige Möbelwagen beanspruchte das Versteck für
sich allein. Der hohe, breite Laderaum hatte keine Fenster — und die
Firmenanschrift an der Fahrertür lautete: WALDEMAR UNTERHAMMER — UMZÜGE/TRANSPORTE
— SCHRATTENBURG AM LURCH — TEL. 0 11 12/4 30 90
    Diese Adresse und Firma gab’s natürlich
nicht. Döbbel hatte alles erfunden.
    Die verbrecherischen Brüder handelten
ohne ein Wort. Dunkle Mäntel, zugeknöpft bis zum Hals. Wollene Sturmhauben mit
Sehschlitzen für die Augen. Beide trugen große, gefährlich aussehende Pistolen,
allerdings ungeladen. Niemand sollte erschossen werden. Und Weidrich, der
bestochene Busfahrer, würde sich sowieso nicht wehren.
    Die Brüder rannten zur Straße zurück.
Vier Minuten waren vergangen, seit Gluschke den Zettel abgeliefert hatte. Er
steckte — als Knäuel — in Enricos Hosentasche. Alle Namen der Schüler standen
darauf, aber besonders wichtig war einer. Nur Enrico und Carlo kannten ihn — und
nur für

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