Lösegeld am Henkersberg
doch den Bus nehmen. Ist ja kein Unglück.“
„Tut mir leid“, sagte Glockner, „aber
der Fall scheint brenzlig zu sein.“
Er hielt am Bordstein, und die Mädchen
stiegen aus.
„Bitte, sei vorsichtig, Papi!“
Der Wagen schoß davon, Gaby nahm ihre
Mappe unter den Arm, Alice zog die Kapuze ihres regendichten Mantels über den
Kopf.
„Hast du manchmal Angst um deinen
Vater?“
Gaby hob die Achseln. „Ich schiebe
diese Gedanken immer weg. Er hat nun mal diesen Beruf. Und was ist nicht
gefährlich heutzutage?“
Sie gingen die wenigen Schritte zurück
zur Bushaltestelle.
„Hallo!“ Der ältere Schüler nickte den
Mädchen zu.
Die beiden Kleinen waren mit Nahkampf
beschäftigt, der eine hatte den andern im Schwitzkasten.
Bevor Gaby ihr Goldhaar unter der
Kapuze verstecken konnte, rollte der Bus heran.
Weidrich erwiderte Gabys Gruß, aber
sein Lächeln wirkte verkrampft an diesem Morgen.
„Das ist meine Freundin Alice Theisen“,
stellte Gaby ihren Besuch vor. „Während der nächsten zwei Wochen fährt sie mit,
Herr Weidrich.“
Er nickte. Gaby zog Alice nach hinten,
wo sie am liebsten saß. Noch waren fast alle Plätze leer, aber der Bus würde
sich füllen — von Haltestelle zu Haltestelle. Besonders heute bei dem Wetter!
Doch Gaby täuschte sich. Als die letzte
Station im südlichen Vorort Fürstenwiesen angefahren wurde, stiegen nur noch
zwei Schüler aus der Oberstufe zu. Niemand mußte stehen, eine Handvoll Plätze
blieb frei. Also trotzten doch etliche Schüler dem naßkalten Wetter und
radelten zum Unterricht. Oder machten sie blau — wegen Grippe oder dem, was
gerade modern war?
„Sonst sind wir mehr“, erklärte Gaby,
während Alice hinausblickte.
„Was notiert sich der Fahrer
eigentlich?“ fragte sie.
„Notiert er sich was?“
Gaby saß so, daß sie Weidrich nicht
sehen konnte. Alice’ Blick reichte durch den Mittelgang.
„Ja, er kritzelt beim Fahren auf einen
Zettel. Noch eine Haltestelle? Ich denke, das war eben die letzte.“
Auch Gaby wunderte sich. Hier, in der
Palotschi-Straße, hielt der Bus nie. Aber jetzt war Weidrich rechts an den
Bordstein gefahren, und das große Fahrzeug stoppte. Der Motor lief, während
Weidrich auf seiner Seite ausstieg — eilig, als hätte er was vergessen, das
noch erledigt werden mußte.
Einige Schüler machten freche
Bemerkungen. Und alle sahen ihm nach, als er in einen überdachten Torweg lief,
der auf das Gelände eines Schrotthändlers führte.
Ein dringendes Bedürfnis als Grund
konnte es nicht sein, denn Weidrich war schon nach Sekunden zurück. Dicke
Regentropfen perlten ihm auf dem Gesicht. Oder war es Schweiß? Tatsächlich,
trotz der Kälte draußen schien er zu schwitzen. Das Gesicht war gerötet. Fieber?
Gaby dachte nicht lange darüber nach,
sondern wandte sich Alice zu und erklärte ihr, während sie weiterfuhren, was es
draußen zu sehen gab.
13. Überfall auf den Schulbus
Außerhalb der Stadt, wo Regenschleier
über Felder und Wiesen wehten, war es noch ungemütlicher. Schnee mischte sich
in den Regen, die Sicht reichte nicht weit.
Ein Kastenwagen mit gefälschten
Nummernschildern parkte am Straßenrand.
Enrico Vedmillia hatte Döbbel, den Wirt
vom ,Halben Ohr’, mit Carlo bekannt gemacht. Der ähnelte seinem Bruder
erheblich, sprach aber ein besseres Deutsch.
„Eher“, sagte er grinsend zu Döbbel, „konnte
ich nicht kommen. Mußte in Rom nämlich zwei Jahre absitzen. Diese Dreckskerle
von der Carabinieri haben mich erwischt. Zwei Jahre — ph! Erst gestern morgen
wurde ich aus dem Gefängnis entlassen. Dann gleich in die nächste Maschine — und
abends war ich hier.“
„Freut mich“, sagte Döbbel. „War es
schlimm im Knast?“
„Wo ich war, sind die Wärter
bestechlich. Es fehlte mir an nichts. Nur die Spaziergänge waren etwas eingeschränkt.“
„Carlo“, sagte Enrico, „seien
Spezialist für Betäubungsgas. Bester Fachmann dafür in Europa. Ich alles
besorgen nach seinen Angaben. Befinden sich drüben in Möbelwagen.“
Der — ein alter, verbeulter Schlitten
mit gleichfalls gefälschten Kfz-Kennzeichen — stand hinter jener großen
Feldscheune, bei der zur Zeit ein Dunghaufen lagerte. Gestern abend — als Tim
und Klößchen vorbeiradelten — hatte er noch gedampft. Jetzt war er — infolge
des Nachtfrosts — überzogen mit einer kuhfladen-farbenen Eisschicht.
„Schädigt das Gas die Gesundheit?“
fragte Döbbel.
Enrico lachte auf, war amüsiert.
Offenbar sorgte sich der
Weitere Kostenlose Bücher