Lösegeld am Henkersberg
sie hatte er Bedeutung.
Ein Fahrzeug näherte sich, brummend.
Noch hielt’s der Nebel verschluckt.
Die Gangster standen hinter
Chaussee-Bäumen, zu beiden Seiten der Zubringerstraße.
Da! Der Bus! Eben tauchte er auf aus
dem milchigen Dunst. Er fuhr langsam. Das war mit Weidrich verabredet und
gehörte zum Plan.
Alles würde schnell ablaufen. Mit einer
Störung war nicht zu rechnen. Döbbel hatte die Absperrungsböcke samt Schild
aufgestellt, sobald der Bus an ihm vorbei war. Wer jetzt noch aus der Stadt kam
— per Rad oder Auto — würde sich wundern, vergeblich in den Nebel und Regen
starren, vielleicht ein bißchen zögern, dann achselzuckend wenden und — besorgt
wegen der Chemikalie, die einmal mehr der Umwelt Schaden zufügte — die
befohlene Umleitung nehmen.
Holzköpfe! dachte Enrico. Er sah zu
seinem Bruder hinüber und spreizte Mittel- und Zeigefinger zum Siegeszeichen V.
Der Bus wurde immer langsamer. Das war
ja schon auffällig.
Noch zehn Meter... Jetzt!
Enrico hechtete hinter dem Baum hervor
auf die Straße, erreichte die Mitte, grätschte die Beine und richtete die
Pistole, die er mit beiden Händen hielt, auf den Bus. Genauer: auf Weidrich.
Schwitzend vor Angst hockte der Fahrer
hinter der Windschutzscheibe. Jetzt bremste er sofort. Denn auch Carlo war auf
die Straße geschnellt und zielte, nicht minder drohend, auf ihn.
...ziiiischschsch..., fauchten die
Bremsen, und das Fahrzeug hielt.
Neben Weidrich, aber zurückgesetzt in
den Fahrgastraum, reckten sich bleiche Gesichter auf langen Hälsen: Schüler
aller Klassen, von der fünften bis zur 13.
„Mach die Tür auf, Fahrer!“ brüllte
Carlo.
Er sollte reden, hatten sie
entschieden, wegen der besseren Grammatik, die er gelernt hatte während seiner
acht Jahre als Kellner in der deutschen Gastronomie. Damals hatte er sich noch
mit Klein-Kriminalität abgegeben, hatte Haschisch verkauft und ein bißchen
geklaut. Sein Reden klang zwar nicht, als wäre er in deutschen Landen geboren, aber
man konnte ihn auch für einen Türken, Griechen, Spanier oder Jugoslawen halten.
Und das würde die Ermittlungen der Kripo erschweren.
Weidrich gehorchte.
Fauchend glitt die vordere Tür auf.
Enrico sprang in den Bus, wobei er
beinahe ausgeglitten wäre auf der glitschigen Stufe.
Drohend richtete er die Waffe auf die
Schüler. Sie saßen da wie gelähmt. Kein Laut war zu hören. Offene Münder,
fassungslose Blicke — und langsam schlich sich Furcht in die Mienen.
Carlo war seinem Bruder gefolgt und
stieß Weidrich mit der Pistole an.
„Fahr auf den Feldweg dort! Bis zur
Scheune. Mann, beeil dich! Sonst mach ich dir Löcher in die Jacke.“
„Jaja. Ich fahr’ schon. Nicht schießen!“
Weidrich stammelte. Es hörte sich echt an.
Gehorsam lenkte er den Bus nach rechts
auf den Feldweg, vergaß auch nicht zu blinken und löschte, obwohl es ihm
niemand befohlen hatte, das Abblendlicht der Scheinwerfer — mit dem er wegen
des Nebels gefahren war.
14. Umsteigen in den Möbelwagen
Ich träume, dachte Gaby. Es darf nicht
wahr sein! Unmöglich! Zwei Maskierte mit Pistolen überfallen den Schulbus. Ein
Scherz? Ist noch Fasching? Haben zwei Schüler sich das ausgedacht? Oder ist das
bitterer Ernst?
Sie sah Alice an.
Das Mädchen war totenbleich. Ihre Augen
weiteten sich, als übersteige der Schreck jedes Maß.
Gaby stieß sie an, während der Bus
schaukelnd über den Feldweg rollte.
„Das kann nur ein Versehen sein, Alice.“
Gaby flüsterte. „Die glauben, wir sind der Geldtransporter. Sagen wir’s ihnen.“
Alice reagierte nicht. Für einen Moment
schien es, als würde sie in Tränen ausbrechen.
Keiner der anderen Schüler redete.
Selbst die beiden Abiturienten in der fünften Reihe vorn — Lothar und
Hans-Helmut, sonst bekannt für ihre Großmäuligkeit — waren stumm wie alte
Grabsteine.
Einer der Maskierten kam durch den
Mittelgang nach hinten, die Pistole immer schußbereit.
Dunkle Augen hinter den Sehschlitzen
musterten jedes Gesicht.
Jedes? Gaby fiel auf, daß er sich bei
den Jungs nicht aufhielt. Aber die Mädchen sah er an, die waren in der
Minderzahl; und der Mann brauchte nicht lange, bis er vor der Bank am
Heckfenster stand.
Die kleine Heidelinde saß in ihrer
Ecke, hatte wie immer noch Vokabeln gelernt und war jetzt vor Entsetzen ganz
starr.
Der Maskierte blickte sie an, dann
fühlte Gaby die kalten, dunklen Augen auf sich gerichtet.
Trotzig schürzte sie die Lippen.
„Sie sind hier im falschen Bus, Herr
Ganove.
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