Lösegeld Für Einen Toten
und bereits als Jugendlicher ins Kloster gegeben worden. Vor etwa zwei Jahren hatte man ihn in die Krankenstation verlegt, nachdem er Prior Robert nach einem nichtigen Streit plötzlich zu einem Duell auf Leben und Tod gefordert und sich beharrlich geweigert hatte, abgelenkt oder versöhnt zu werden. In seinen lichteren Momenten war er charmant, gewinnend und höflich, doch sobald er seinen Familienstolz und seine Ehre gekränkt sah, erwies er sich als unerbittlicher Feind. Und nun, im hohen Alter, verteidigte er sich so lebhaft wie damals gegen Angriffe jeder Art, die weit zurück in seiner Vergangenheit lagen; ja, er beschäftigte sich mit Streitereien, die noch vor seiner Geburt stattgefunden hatten und brütete über alles, was ungerächt geblieben war.
Vielleicht war es ein Fehler, ihn zu fragen, wie es ihm ginge, doch wie er da hoheitlich auf seinem Thron saß, schien er genau das zu erwarten. Er hob den Kopf mit der schmalen Hakennase und preßte die bläulichen Lippen zusammen.
»Nicht besonders gut, nach dem, was ich höre und wenn ich ehrlich sein soll. Man sagt, Gilbert Prestcote lebte noch und würde bald hierher zurückkehren. Ist das wahr?«
»Das ist es«, sagte Cadfael. »Owain Gwynedd schickt ihn im Austausch gegen einen Waliser, der vor einiger Zeit im großen Wald gefangen wurde, nach Hause. Aber warum geht es Euch nicht gut, wenn Ihr gute Nachrichten über einen anständigen Christenmenschen hört?«
»Ich hätte gedacht, daß endlich Gerechtigkeit geschehen sollte«, sagte Maurice überheblich, »nach all den langen Jahren. Doch wie lang die Zeit auch ist, am Ende wird das göttliche Urteil stehen. Leider hat Gott aber auch dieses Mal den Blick abgewandt und den Missetäter verschont.« In seinen Augen glitzerte es grau wie Stahl.
»Die göttliche Gerechtigkeit solltet Ihr besser sich selbst überlassen«, sagte Cadfael milde, »denn sie braucht unsere Hilfe nicht. Und ich wollte ja nur fragen, wie es Euch geht, mein Freund, also kommt mir nicht mit anderen. Was macht denn Eure Brust in diesem Winterwetter? Soll ich Euch einen Likör zum Wärmen bringen?«
Es war nicht schwer, ihn abzulenken, denn obwohl er sich kaum über seine Gesundheit beklagte, war er offen für die Schmeicheleien mitfühlender und aufmerksamer Brüder und genoß es, verhätschelt zu werden. Sie ließen ihn beschäftigt und zufrieden zurück und traten sehr nachdenklich auf die Terrasse.
»Ich wußte, daß er diese Unruhe in sich trägt«, sagte Cadfael, als die Tür hinter ihnen geschlossen war, »aber nicht, daß er einen solchen Zorn auf die Prestcotes nährt. Was hat er denn gegen den Sheriff?«
Edmund zuckte die Schultern und schnaufte resigniert.
»Das geschah schon zu Lebzeiten seines Vaters, Maurice war gerade erst geboren! Es gab einen Prozeß um ein Stück Land und lange Streitereien auf beiden Seiten, und schließlich ging alles zu Prestcotes Gunsten aus. Soweit ich weiß, war das Urteil gerecht wie nur irgendeines, und Maurice lag noch in der Wiege, während Gilberts Vater, guter Gott, noch nicht einmal ein ausgewachsener Mann war; doch der arme Alte hat es als Todsünde wieder ausgegraben. Und das ist nur eine von einem guten Dutzend, die er in seiner Erinnerung hegt und pflegt, und für alle will er Blut sehen. Kaum zu glauben, daß er dem Sheriff nie begegnet ist. Wie kann man denn einen Mann hassen, den man nie gesehen und mit dem man nie gesprochen hat, nur weil sein Großvater gegen den eigenen Vater einen Prozeß gewann? Warum muß denn hohes Alter dazu führen, daß man alles außer dem allgegenwärtigen Bösen vergißt?«
Eine schwierige Frage. Und doch war es manchmal gerade andersherum: Das Gute blieb in Erinnerung, und alles Böse und aller Trotz wurde fortgeschwemmt. Aber warum dem einen Mann diese Gnade gewährt wurde, während den anderen ein so schlimmer Fluch heimsuchte, das konnte Cadfael nicht ergründen. Gewiß mußte irgendwo ein Gleichgewicht hergestellt werden.
»Ich weiß«, sagte Cadfael traurig, »daß nicht jeder Gilbert Prestcote liebt. Gute Männer bieten ihren Feinden genauso ein Ziel wie schlechte. Und bei der Durchsetzung der Gesetze war er nicht immer geschickt und gnädig, wenn auch nie bestechlich oder grausam.«
»Bei uns lebt einer, der einen erheblich besseren Grund hat als Maurice, einen Groll gegen ihn zu hegen«, sagte Edmund. »Ich bin sicher, Ihr kennt Anions Geschichte genausogut wie ich. Wie Ihr vor Eurer Abreise gesehen habt, geht er auf Krücken, und er
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