Löwenherz. Im Auftrag des Königs
war noch nie grob zu ihm gewesen. Er hatte sie später vor dem Feuer im Saal gefunden, in Decken gehüllt und in die Flammen starrend, die sie eigenhändig aufgeschürt hatte. Sie hatte ihn stumm angesehen. Der Widerschein des Feuers hatte zwei goldene Spuren über ihre Wangen gezogen.
Aber wie war dieser Sinneswandel zustande gekommen? Victor konnte sich keinen Reim darauf machen. Es konnte doch wohl nicht an dieser einen Geburt liegen? Diane war gebeten worden, zu einer Pächtersfrau zu kommen. Diese hatte in den Wehen gelegen. Es war Brauch, dass die Herrin, wenn es zufällig möglich war, bei der Geburt eines Kindes zugegen war. Soweit Victor mitbekommen hatte, war die Geburt nicht leicht gewesen, die Pächtersfrau war noch jung gewesen und hatte geschrien wie am Spieß, aber dann hatte sie endlich ihr Kind in den Armen gehalten und war in Tränen ausgebrochen vor Glück. Den Geburtsschmerz hatte sie schon vergessen. Danach war Diane so verändert gewesen. Hatte die Geburt eines dreckigen Balgs einer dreckigen Bäuerin im dreckigen Stroh ihrer dreckigen Hütte Diane daran erinnert, dass auch sie zwei Kinder zur Welt gebracht hatte? Nie im Leben! Diane hatte ihre Launen, und das war eine von ihnen, und sie würde vergehen. Und dann würde sie wieder ganz für ihn da sein und er für sie.
Dennoch waren sie mit ein paar Soldaten und ein paar mit Knüppeln bewaffneten Pächtern zum Barnsdale Forest aufgebrochen und hatten nach einigem Suchen auch eine Höhle gefunden, in der offensichtlich noch vor nicht allzu langer Zeit eine größere Gruppe Menschen gehaust hatte. Durch Herumfragen in den umliegenden Dörfern hatten sie erfahren, dass die Gesetzlosen von König Richard selbst begnadigt worden waren, und hatten schließlich John Miller aufgetrieben, der noch genauso ein aufgeblasener Ochse war wie zu seinen Zeiten als Wegelagerer. Hätte Diane ihn nicht aufgehalten, hätte er das Schandmaul aufgespießt und seine hässliche Alte gleich mit. Und niemand hätte ihm, Victor d’Aspel, den Prozess deswegen gemacht, nicht ihm , dem künftigen Lord de Kyme.
Seine Tagträume von baldiger Größe wurden jäh unterbrochen, als Diane unvermittelt ihr Pferd zügelte. Erstaunt blickte er sich zu ihr um.
John Millers Frau stand etwas abseits zwischen den Bäumen. Das Gesicht der Frau war rot und sie keuchte; sie musste gerannt sein.
»Warum wollt Ihr Eure Kinder zurück, Mylady?«
»Sie fehlen mir«, sagte Diane.
»Ihr wolltet sie verstoßen«, sagte die Müllerin. »Die Tochter verheiraten, den Sohn ins Kloster schicken.«
Diane senkte den Kopf.
»Warum wollt Ihr sie jetzt doch wieder zurück?«
Diane zögerte so lange, dass Victor sein Pferd zu ihr umkehren ließ. Er wollte nach ihrer Hand greifen, aber Diane wischte sich stattdessen damit über das Gesicht. Sie hatte wieder geweint.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie kaum hörbar. »Ich weiß nur, dass mir auf einmal so ist, als wären mir zwei Löcher ins Herz gerissen worden.«
Die Müllerin schien einen inneren Kampf auszutragen. Schließlich sagte sie: »Geht nach London. König Richard hat sich ihrer angenommen.«
Victor sah den Blick, den Diane ihm zuwarf. »Oh nein«, protestierte er. »Nein, nein. Diane! Willst du alles infrage stellen, was wir uns erträumt haben? Wenn es dir darum geht, wieder ein Kind auf dem Arm zu halten, dann mach ich dir in Gottes Namen … äh …«
»Ich bin keine Zuchtkuh!«, zischte Diane.
Victor räusperte sich. »Ich meine ja nur: Du kannst viel von mir verlangen, aber das nicht. Ich gehe auf keinen Fall zu König Richard nach London und frage ihn, was aus deinen Kindern geworden ist. Auf keinen Fall.«
Wenig später holte sein Knappe zu ihm auf und beugte sich zu ihm herüber. »Messire, wenn Ihr auf keinen Fall nach London wollt, warum reiten wir dann jetzt genau dorthin?«
»Halt die Klappe!«, brummte Victor.
3
I n der nächtlichen Dunkelheit schwebte ein Lichtpunkt und tanzte in einem langsamen Rhythmus auf und ab. Ein zweiter Lichtpunkt, etwas schwächer, war knapp darunter und machte jede Bewegung mit. Der träge Tanz wurde begleitet vom hellen Läuten eines Glöckchens.
»Ich glaube, ich geb besser dem Schiffsmeister Bescheid«, flüsterte Robert.
Edith nickte. Robert huschte durch die Finsternis über das Deck.
Der Schiffsmeister saß neben einem Wasserfass auf dem Boden und schnitzte gelangweilt an einem Holzstück herum, das seit der Abreise von Zypern noch nicht recht Form hatte annehmen wollen. Neben
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