Löwenherz. Im Auftrag des Königs
das lag nicht nur daran, dass sie den Boden betreten hatten, auf dem Jesus Christus und die Apostel gewandelt waren. Es war die Landschaft, die Edith in größtes Staunen versetzte: Ehrfurcht gebietend, felsig, schroff und sonnendurchglüht. Über ihnen wölbte sich Tag für Tag ein tiefblauer Himmel, überall um sie her ragten Hügelketten auf, als wäre das Meer in einem Sturm erstarrt und zu Stein geworden. Die vorherrschenden Farben waren Blau und Gold. In der Nacht schwand das Gold und ließ das Blau zurück: das Indigo der Felsen und Hügel und das Schwarzblau des Himmels, in dem die Sterne glitzerten. In einem breiten Band spannten sie sich von Horizont zu Horizont, ein Diadem aus Milliarden von Diamanten.
Edith merkte schnell, dass die wilde Landschaft Johnny und Robert genauso in ihren Bann geschlagen hatte wie sie selbst. Auch hatte die Ereignislosigkeit des bisherigen Ritts all ihre Ängste beruhigt. Natürlich hatten sie mit den Kamelen vorliebnehmen müssen. Edith hätte nie gedacht, dass man darauf wirklich reiten konnte. Nach den ersten Schritten fürchtete sie, dass Johnny im Nu sterbensübel werden würde, weil die Tiere beim Gehen schaukelten wie ein Schiff auf rauer See. Doch Johnny saß nur strahlend auf seinem Reittier und erklärte, dass das Schwanken eher an ruhige Küstengewässer erinnere, und da gehe es ihm immer hervorragend.
Robert war so übermütig, dass er ein Wettrennen vorschlug. Sie ritten gerade durch ein Tal, das wie ein ausgetrocknetes Flussbett wirkte und von den Einheimischen »Wadi« genannt wurde. Ihre Begleiter, mit denen sie sich noch schlechter unterhalten konnten als mit Joel, nämlich nur mit ausgiebigen Gesten und Handzeichen, verstanden die Aufforderung zuerst nicht.
»Wir gegen die«, erklärte Robert.
»Ein tolles Rennen«, sagte Edith. »Ihre Kamele sind aufgepackt bis zum Gehtnichtmehr, und sie sind Erwachsene, also viel schwerer als wir. Der Vorteil ist klar auf unserer Seite.«
»Aber dafür sind sie an die Viecher gewöhnt. Wir nicht.«
»Ich reite nicht schlechter als die«, rief Johnny empört.
Robert sah Edith drängend an. »Na los, Edith! Sei keine Spielverderberin.«
»Ich weiß nicht, was das Ganze soll.«
»Lieber Himmel!« Robert warf die Hände in die Höhe. »Warum hast du dich denn so? Ist doch bloß ein simples Wettrennen, mehr nicht.«
»Erklär ihnen erst mal, was du willst«, sagte Edith trocken. »Die sehen nicht so aus, als hätten sie verstanden.«
Robert und Johnny gestikulierten wie die Wilden. Schließlich zuckten die jungen Männer mit den Achseln und trieben ihre Kamele mit denen der Kinder in eine Linie. Beide Reiter hoben die Stöcke, mit denen sie die Tiere antrieben, und blickten Robert erwartungsvoll an.
»Na also«, sagte Robert. »Bei drei. Eins …«
Die Knechte droschen den Kamelen die Stöcke auf die Flanken. »Yalla, yalla!« , schrien sie.
Die Tiere stoben mit einer Geschwindigkeit davon, die Edith den schlaksigen Tieren nie zugetraut hätte. Wie sie die langen Beine durcheinanderwirbelten, machte einen schon schwindelig beim Zusehen.
»Heee!«, brüllte Robert. »Ich sagte doch: ›Bei drei!‹«
Johnnys Kamel tat einen Satz und rannte dann, Sand und Staub aufwirbelnd, los. Johnny hüpfte auf dem Rücken des Tiers auf und ab, schlug aber voller Begeisterung mit seinem Stöckchen auf das dicke, schmutzige Fell ein und schrie: » Yalla! Los, hinterher, die schnappen wir uns! Yalla, yalla! «
Robert schnaubte, dann brachte auch er sein Kamel dazu loszurennen. Schimpfend nahm er die Verfolgung auf. Edith war die Letzte. Sie seufzte, aber allein zurückbleiben wollte sie auch nicht. Sie grub ihre Fersen in die Flanken ihres Kamels und rief: »Yalla!«
Die nächsten Augenblicke ähnelten dem Versuch, auf dem Rücken eines bockenden Pferdes zu bleiben, das auf einer schwankenden Hängebrücke herumsprang, deren Haltetaue sich unaufhaltsam lockerten, während sie von einem Sturm, einem Erdbeben und dem Weltuntergang gleichzeitig durchgeschüttelt wurde. Als Edith wieder klar sehen konnte, stob ihr Kamel gerade an dem Roberts vorbei, der fassungslos zu ihr herüberstierte und dann sein Tier mit doppelter Mühe antrieb. Johnny war vielleicht zwanzig Kamellängen voraus, weitere zwanzig Kamellängen weiter sausten die beiden Knechte dahin. Sie schienen auf einmal Spaß an der Sache zu haben, denn sie wandten sich lachend nach ihren abgeschlagenen Verfolgern um, winkten und trommelten mit ihren Stöckchen. Die Kamele
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