Löwenherz. Im Auftrag des Königs
herum und müsstet übersetzen«, erwiderte Guy.
»Wo sind Eure Pferde?«, fragte der Sergeant.
Wenig später mühten sie sich die Böschung hinauf, noch immer umringt von den Sarazenen. Richard und Guy zogen ihre Pferde am Zügel hinter sich her, Edith trieb ihr Kamel an. Der Anblick eines Christenmädchens, das wie eine echte Wüstentochter ein Kamel mit Fausthieben vor sich herscheuchte, schien die Reiter köstlich zu amüsieren: Sie grinsten und einige lachten laut.
Als sie die Ebene erreicht hatten, blieben Richard, Guy und Edith stehen. Der Anblick war überwältigend: Über Burg Kerak stand eine riesige Staubglocke, Rauchsäulen hingen schräg im Wind, Pfeilwolken flogen wie Vogelschwärme hin und her. Der Sultan hatte mit dem Angriff begonnen.
Oh mein Gott! , dachte Edith. Robert! Papa!
Dann wandten alle wie ein Mann die Köpfe, als ihnen der aufsehenerregendste Anblick des heutigen Tages zuteilwurde: ein Kamel, das in seinem lang ausgreifenden Betrunkenengalopp auf sie zustürmte, auf ihm eine Gestalt, die halb aus dem Sattel hing und nacheinander den Helm, das Staubtuch, den Mantel und einen Stiefel verlor und wie verrückt brüllte: »Edith, ich komme! HALT DICH FEST !«
28
N ur einer der Sarazenen war überhaupt in der Lage, seinen Bogen zu spannen und einen Pfeil abzuschießen, aber dieser ging meilenweit fehl. Das Kamel rannte einfach mitten in den Trupp hinein und die Pferde scheuten und stiegen in die Höhe. Zwei Sarazenen wurden abgeworfen, zwei weitere Pferde vollführten solche Bocksprünge, dass ihre Reiter sich nur mit größter Not im Sattel halten konnten. Der Sergeant warf sich der Länge nach in den Staub, sonst hätte ihn das Kamel einfach umgetreten. Edith blieb der Mund offen stehen.
»Halt dich fest, Edith!«, brüllte der waghalsige Kamelreiter, unverkennbar Johnny Greenleaf. Sein Gesicht war vor Anstrengung gerötet, er streckte seine freie Hand nach ihr aus. Edith hörte die Sarazenen rufen und Guy de Gisbourne fluchen. Dann schlug ihr der scharfe Geruch des Kamels entgegen, und im nächsten Augenblick prallte sie so hart gegen Johnny, dass ihr beinahe die Luft wegblieb. Sie merkte, wie sie hochgehoben wurde. Benommen sah sie, wie König Richard einen neben ihm stehenden Sarazenen umstieß und hinter dem Kamel herzurennen begann. Guy, dem die Sarazenen das Schwert abgenommen hatten, raffte Schild und Schwert des Königs vom Boden auf und setzte Richard nach.
Diese ganze, irrsinnige Szenerie entfernte sich in rasendem Tempo von Edith, während das Kamel ungebremst in die Wüste hinausstürmte. Sie und Johnny hingen aneinander geklammert an der Seite des Tieres wie zwei Mehlsäcke, deren Verschnürung sich gelöst hat. Mit Verzögerung nahmen diejenigen Sarazenen, die ihre Pferde noch unter Kontrolle hatten, die Verfolgung auf.
»Hahahaaa!«, schrie Johnny. Doch sein Triumphgeheul verwandelte sich sogleich in: »Hahahaaaohmiiist!«
Die Welt drehte sich einmal um Edith, dann kam sie hart am Boden auf. Noch immer in Johnnys Umklammerung, rollte sie über Sand und Steine und kam schließlich unter ihm zu liegen. Halb betäubt von dem Sturz, hörte sie das Blöken des sich entfernenden Kamels. Johnny kam schwankend auf die Knie, in der linken Faust ein Büschel Haare, das sich aus dem Fell des Kamels gelöst hatte. Er blutete aus der Nase, ansonsten schien er wie sie selbst unverletzt. »Verdammt!«, schrie er und feuerte das Haarbüschel davon. »Verdammt, verdammt, verdammt!«
Da war auch schon König Richard heran, riss Johnny in die Höhe und schwang die Faust. Johnny duckte sich. Der König packte ihn am Kragen. Seine Augen aufgerissenen sprühten Funken.
»Ich bin’s, Euer Gnaden«, kreischte Johnny und wich knapp einem neuerlichen Faustschlag aus. »Sir John – ach, Mist …«, erneut konnte er sich ducken, »… Johnny Greenl…« Die Faust des Königs traf ihn am Kinn und er fiel um. Edith kam stolpernd auf die Beine.
»Es ist Johnny!«, hustete sie und fiel Richard in den Arm. »Er wollte mich retten!«
Richard fuhr herum. Seine Augen verengten sich. Er riss Edith an sich und duckte sich über sie. Edith hörte eine Klinge haarscharf über ihren beiden Köpfen durch die Luft sausen und sah Guys verzerrtes Gesicht, bevor Richard herumwirbelte und sie zu dem halb besinnungslos herumtastenden Johnny auf den Boden schleuderte.
»Jetzt ist es genug!«, schrie Guy. »Lieber bring ich dich um, als dass ich zusehe, wie du am Ende entkommst!« Er hielt Richards Schild in
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