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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Nase. »Du musst für deine Kinder da sein. Musst alleine für sie sorgen.« – »Wie? Ich habe nichts gelernt, nicht einmal zu denken habe ich gelernt.« – »Du wirst es schon schaffen, bist ein kluges Mädchen. Aber nicht hier. Wirst hier nie selbständig und ohne Mann leben können. Du musst zurück nach Deutschland. So bald wie möglich, aber ohne Kind.«
    Sie hatte recht. Ein Baby würde ich nicht versorgen können, nicht wenn ich unabhängig sein will und arbeiten. Wenn ich das Sorgerecht für meine drei haben will, muss ich auch für sie sorgen. In Tunesien würde ich keinen Job bekommen, mit einem Baby sowieso nicht. Ich musste zurück nach Deutschland und dort mein Glück versuchen.
    Ich weiß nicht wie, aber meine Mutter hat die Abtreibung organisiert. Innerhalb von ein paar Tagen. Ein Arzt außerhalb der Stadt. Nachdem ich ihm meine Geschichte erzählt hatte, ging alles sehr schnell. Irgendwie hätte die Schwangerschaft auch ein Neuanfang sein können. Doch diese Hoffnung war nun endgültig gestorben. In den folgenden Wochen lag ich krank im Bett, hatte Schmerzen in der Hüfte, konnte kaum laufen. Unerträgliche Kopfschmerzen kamen dazu. Meine Mutter kochte Tee, sie brachte mir zu essen, deckte mich zu, setzte sich an mein Bett und sprach mit mir. Alles, was sie noch nie getan hatte. Fast schien es, als habe mein Leid sie ein Stück weit aus ihrer eigenen Hoffnungslosigkeit und Depression herausgerissen. Wenn sie es schon nicht geschafft hatte, aus ihrem abhängigen Leben auszubrechen, so dachte sie wahrscheinlich, dann sollte es wenigstens ihre Tochter schaffen.
    Es dauerte trotzdem eine ganze Weile. Immer wieder zog ich mich voller Angst in mein Schneckenhaus zurück. Warum sollte ich wieder zurück nach Deutschland? Auch wenn ich meine Kinder hier nicht sah, so war ich ihnen in Tunesien doch näher als in Hamburg. Ich könnte sie holen und mit ihnen in unser neu gebautes Haus einziehen. – Eine schöne Vorstellung, mehr nicht.
    Beim Gericht war das Sorgerechtsverfahren auf Eis gelegt. Die zuständigen Mitarbeiter seien in Urlaub, hieß es. Inzwischen war es Sommer, heiß wie immer, am Spätnachmittag staute sich die Hitze im Haus. »Die Scheidung ist durch«, kam der Vater eines Tages mit einem Brief von seiner ehemaligen Arbeitsstelle, wo er jeden Tag nach dem Rechten sah. Ich stand mit Mutter in der Küche und wusch die Wäsche. Der Vater legte den Brief auf den Tisch: Geschieden! »Jetzt musst du zurück«, sagte er. »Ja, ich weiß.« – »Du darfst deine Aufenthaltsbewilligung nicht riskieren.« – »Und ich muss der Welt beweisen, dass ich meinen Kindern ein besseres Zuhause bieten kann, als sie das bei ihrem Onkel haben.« – »Wenn du Arbeit findest, kannst du sie nachholen, sobald du das Sorgerecht hast.«
    Ich wusste nicht, wie der Vater sich das vorstellte. Noch viel weniger konnte ich mir vorstellen, wie das gehen sollte. Von Hamburg hatte ich all die Jahre nichts gesehen, nur die wechselnden Wohnungen und ein paar Geschäfte. Deutsch sprach ich kaum. Die Kultur kannte ich nicht. Wo sollte ich unterkommen? Wie Geld verdienen? Ich war frei, konnte das Wort Freiheit aber nicht einmal buchstabieren.

7.
    »Frei wie noch nie«
    Ein Septembertag. Noch heiß in Tunesien, aber kalt in Hamburg. Mit einer Plastiktüte und 50 DM, die mir der Vater gewechselt hatte, war ich losgezogen. Ohne konkrete Vorstellung, wie es weitergehen sollte. Aber in Tunesien konnte ich nichts mehr für meine Kinder tun. Als ich mit festen Schritten die Gangway bis zur Flughafenhalle entlangging, fröstelte ich. Ich hatte nur ein dünnes Sommerkleid mit Stoffjacke an. Einen Pullover hatte ich nicht eingesteckt, überhaupt keine Kleidung. Nicht daran gedacht. Der Beamte an der Passstelle musterte mich von oben bis unten. Ich versuchte, mich mit seinen Augen zu sehen: Wer ist das denn? Gehört die hierher? Eine Fremde? Er schaute in meine Papiere, schaute mich an, schaute in die Papiere. Ich legte meine Hand ans Ohr, damit ich ihn besser verstehen würde, wenn er etwas sagen oder fragen würde. So große Angst hatte ich vor den ersten Worten. Ich konnte noch immer kein Deutsch. Aber er wollte nichts von mir, sagte nur: »Guten Tag.«
    Vor dem Flughafengebäude wehte ein leichter Wind, die Sonne war gerade untergegangen und hüllte die kleinen Wölkchen in einen pfirsichroten Umhang. Der verblasste schnell, der Himmel schien alles Licht aufzusaugen. Ich zog meine Jacke fester um mich. Wohin jetzt? Es würde sich schon

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