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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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etwas ergeben, hatte ich in Tunesien gedacht, wenn ich erst einmal in Hamburg war. Jetzt war ich da. Und? Wie weiter? Ich zögerte und stieg in ein Taxi. »Hamburg-Harburg«, sagte ich. Weiß der Himmel, warum gerade diese Adresse. »Harburg«. Ausgerechnet. Mir fiel spontan keine andere Adresse als die meines Mannes ein.
    »Halt, aussteigen«, schrie ich den Taxifahrer unvermittelt an, als er bei Aldi um die Ecke bog und ich den Spielplatz erkannte. Er stutzte. »Entschuldigung«, stammelte ich, Gott, war ich aufgeregt, was konnte der arme Mann dafür. Ich drückte ihm 20 Mark in die Hand und schlug die Autotür hinter mir zu. Inzwischen war es dunkel geworden, und die Straßenlaternen brannten. Ohne mich umzusehen, ging ich auf die Haustür zu und stieß sie auf. Dieser erdig-scharfe Modergeruch im Hausflur, o Mann, er war mir verhasst und vertraut zugleich. Ich tastete nach dem Lichtschalter. Mein Gesicht glühte, aber innerlich war ich eiskalt. Ich musterte die Flurwand: Fünf Zentimeter über dem Boden zog sich eine rostrot gezackte Linie an den Fliesen entlang. Putzwasserspuren. Es sah aus, als hätte es eine Überschwemmung gegeben. Als mir der Hausbesitzer aus dem flirrenden Halbdunkel entgegenkam, schreckte ich zusammen. Er schien überrascht. »Guten Abend«, sagte ich forsch. Wenn ich ihm früher begegnet war, hatte er meistens eine Taschenlampe bei sich, um in die eine oder andere Ecke zu leuchten. Das Haus war marode, aber zum Renovieren war kein Geld da. Ich hatte mich öfters mit ihm unterhalten. Ein sonderbarer Mensch, einsam, ohne Frau und Kinder. Hat mir leid getan. Immer suchte er das Gespräch mit den Mietern. Aber jetzt machte er mir schnell Platz, damit ich an ihm vorbeikomme, sagte nur knapp: »Nee, auch wieder da?« – »Och ja«, antwortete ich und steuerte geradewegs auf unsere dunkle Eingangstür zu. Ich klopfte und klingelte gleichzeitig.
    Ich hatte nichts zu verlieren, alles, was ich in diesem Moment wollte, war, meinen Mann zur Rede zu stellen. »Aslema«, stieß ich laut und herrisch hervor, als sich die Tür öffnete. Zu laut, noch ehe ich jemanden sah. »Ich will mit dir reden!« Da erschien Abdullah im Türspalt. »Jetzt, sofort!«, schob ich nach. Erschrocken zuckte er zurück. Seine Augen waren weit aufgerissen, und sein blasses Gesicht hatte den Ausdruck einer Katze, bevor sie das Weite sucht. Er schluckte. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht mit mir. Fahrig fuhr er sich mit seinen Fingern durch die Haare. Ich roch sein billiges Haargel. »Was machst du hier?«, bellte er mich an und suchte nach einer Zigarette. Seine Haut spannte sich über seine hohen Backenknochen, sodass seine Wangen noch eingefallener wirkten als sonst. Und noch einmal: »Was machst du hier?« Er klopfte eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an. Da sah ich die dunklen Ringe unter seinen Augen, er sah übernächtigt aus. »Wie kommst du hierher?« – »Mit dem Flugzeug.« – »Und was willst du hier?« – »Die Kinder! Lass mich rein«, forderte ich barsch. »Nein«, fauchte er, »du kommst hier nicht rein. Nie wieder.« – »Ich will die Kinder!« – »Du weißt genau, dass die nicht hier sind.«
    Dass ich noch einmal nach Hamburg zurückkehren würde, hatte Abdullah nicht für möglich gehalten. Warum auch, die Kinder waren in Tunesien, und wir waren geschiedene Leute. »Warum bleibst du nicht in Tunesien bei deiner Familie?«, fragte er nun, offensichtlich hatte er seine Sprache wiedergefunden. »Meine Familie war hier. Und hier will ich sie wiederhaben, verstehst du? Hier! Vorher gehe ich nicht. Deswegen will ich mit dir sprechen.« – »Es gibt nichts zu besprechen.« – »Das denkst du, aber wir sind noch lange nicht fertig miteinander. Ich will das Sorgerecht.« – »Wirst du aber nicht bekommen.« – »Das werden wir ja sehen. Wo sind die Pässe?« – »Geht dich nichts an!« – »Gestohlen, haa? Wie meinen.« – »Pass auf, was du sagst!« – »Sollte ich mich nicht wenigstens um die Kinder kümmern, wenn du es schon nicht tust? Du lässt sie in diesem Kaff bei deinem Bruder verkommen. Sie sollen wissen, dass sie eine Mutter haben.« – »Bloß was für eine. Nein, kommt nicht in Frage, du wirst sie nicht mehr sehen. Mein Bruder hetzt die Hunde auf dich, wenn du dich dort noch einmal blicken lässt.« – »Ich will meine Kinder haben und für sie da sein. Es sind auch meine Kinder!«
    Ich wurde immer lauter, meine Wut, die vorher von Angst und Unsicherheit gedeckelt war,

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