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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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darfst. Abdullah hat’s verboten, komm ihnen bloß nicht zu nahe. Es sind unsere Kinder und nicht mehr deine.« – »Ich werde ihnen nichts tun«, entgegnete ich kühl. »Ich bin die Mutter, und keiner kann mir das Recht nehmen, sie zu sehen.« – »Doch, du hast keinen Zutritt zu ihnen, das ist gerichtlich. Sie sollen nicht hin- und hergezerrt werden. Wer weiß, was du ihnen für Flausen in den Kopf setzen würdest. Du bist nicht in der Lage, dich um sie zu kümmern. Abdullah hat das Sorgerecht, fertig.« – »Das wird sich bald ändern«, wollte ich mich wehren, aber das hörte er nicht mehr, polternd schickte er die Jungs in ein anderes Zimmer zum Schlafen.
    »Untersteh dich, ihnen zu nahe zu kommen«, rief er über die Schulter. Als ob er fürchtete, ich könnte sie verhexen. Ach, es war mir egal, was er dachte. Den Tag konnte er uns nicht mehr nehmen. Schade, dass ich mich nicht zu meinen Jungen legen durfte, aber nun kuschelte ich mich eben mit Amal auf den Matratzen im Wohnzimmer zusammen. Raja brachte uns eine Decke, die wir über uns zogen. Als ich Amals warmen Atem an meinem Hals spürte, überkam mich eine große Traurigkeit.
    Natürlich konnte ich nicht schlafen, ich glaube nicht, dass ich ein Auge zugemacht habe. Die ganze Nacht hörte ich meinen Schwager im Haus herumgeistern. Er stand auf, legte sich wieder hin. Sein Zimmer lag zwischen dem Kinder- und dem Wohnzimmer. Wahrscheinlich hielt er Wache, damit ich meine Söhne nicht wecke und heimlich mitnehme. Die Kinder entführe wie sein Bruder. Unerträglich, dieses gegenseitige Belauern. Ich hätte sie gerne mitgenommen, aber was dann? Abdullah würde kommen und sie zurückholen.
    Die Kinder taten mir leid, sie waren noch so klein und konnten unseren Kampf nicht verstehen. Ich wälzte mich von der einen zur anderen Seite und zermarterte meinen Kopf: Wie würde der Morgen werden, an dem wir uns verabschieden mussten? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Ein Albtraum, gerade erst gefunden, musste ich sie schon wieder verlassen. Einfach das Feld räumen. Wer weiß, wann ich sie wiedersehen würde. War es nicht besser für die Kinder, bei der Mutter zu leben als beim Onkel? Das musste doch jedes Gericht einsehen! Doch vorerst musste ich mich beherrschen und so gefasst wie möglich gehen. Erst gegen Morgen fiel ich in einen leichten Schlaf.
    Montag. Die Kinder waren früh auf den Beinen, weil sie zur Schule mussten. Amin und Jasin wollten gleich zu mir laufen, wissend, dass es unsere letzten gemeinsamen Minuten waren, aber der Onkel stellte sich ihnen in den Weg. Ich durfte sie nicht mehr in den Arm nehmen. Also stand ich im Flur und beobachtete von dort aus, wie sich meine und Rajas Kinder anzogen. Es war wie früher bei meinen Geschwistern und mir. Jeder holte sich irgendein Kleidungsstück aus dem Schrank. Es gab nicht deine und meine Kleider, sondern Kleider für alle. Die Jungen schnappten sich Hose und Hemd, die Mädchen Kleid und Weste und streiften sich über, was ihnen in die Hand fiel. Was dem einen nicht passte, bekam der andere oder umgekehrt.
    Ich stand immer noch im Flur und versuchte mit ihnen zu reden, um ihnen den Abschied leichter zu machen. »Wie toll ihr ausseht in euren Schuluniformen. Ganz schön.« – »Kommst du uns wieder besuchen?« – »Wenn ich darf, sofort. Jede Minute denke ich an euch, auch wenn wir uns nicht sehen.« – »Wirklich?« – »Ja, wir werden uns bald wiedersehen.« – »Wann?« Darauf wusste ich keine Antwort. Ein wenig verstört und mit gesenkten Köpfen gingen Amin und Jasin an mir vorbei. Amal drückte sich für eine Sekunde an mich, dann rannte sie hinter ihren Brüdern her nach draußen. Nur Jasin hat sich kurz umgedreht, um zu winken. Seine winkende Hand in der Luft, seine gespreizten Finger, war das Letzte, was ich von den dreien sah. Schmerz durchzuckte mich. Ich wollte schreien, doch damit hätte ich es den Kindern nur noch schwerer gemacht. Also schwieg ich.
    Wie lange wird es dauern, bis ich sie wiedersehe? Wenn mir in diesem Moment einer gesagt hätte, dass es zwei Jahre würden, hätte mich keiner von diesem Hof weggebracht. »Lass dich nicht mehr bei uns blicken, hörst du? Du hast keine Chance«, warnte mich der Schwager. Konnte er mich um Himmels willen nicht in Ruhe lassen? Ich ging an ihm vorbei ins Kinderzimmer. Dort nahm ich die Decken, in die sich meine Söhne zum Schlafen eingewickelt hatten, hob sie hoch, sog ihren warmen Geruch ein und legte sie zusammen. Eine nach der anderen. Ganz

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