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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Kleider, auch die Hosen von meinem Mann.« – »Warum das denn?« – »Viel Zeit – keine Waschmaschine. Auch kein warmes Wasser in der Wohnung.«
    Während sie mir zeigte, wo welches Waschmittel in die Maschine kommt und welche Schalter und Knöpfe zu drehen oder zu drücken sind, sagte sie: »Du wirst jetzt vieles neu lernen müssen.« – »Ja, will ich auch.« – »Wir müssen beim Sozialamt einen Antrag für dich stellen, und du musst dich auf dem Einwohnermeldeamt ummelden. Hast du eigentlich ein Bankkonto?« – »Nein, gar nichts.« – »Wie hast du nur gelebt, ohne Waschmaschine und ohne Bankkonto?« – »Mein Mann. Ich kann nicht. Du machst das?« – »Nein, das musst du jetzt selbst lernen.« – »Aber kann nicht lesen – nicht schreiben.« – »Wir werden dir helfen, wenn du willst. Willst du?« – »Ja, ja. Aber ich weiß nichts.« – »Wenn du weißt, was du willst, kannst du es auch. Was willst du?« – »Ich will meine Kinder.« – »Wie stellst du dir das vor?« – »Weiß nicht, mein Vater – mein Vater macht alles.« – »Du musst jetzt erwachsen werden und kannst dich nicht mehr auf deinen Vater verlassen. Hier in Deutschland kann er sowieso nichts für dich tun.« – »Hier ist Vater Staat. Ist auch ein Vater, oder?«
    Petra fing furchtbar an zu lachen. Obwohl ich nicht wusste, was es da zu lachen gab, stimmte ich ein. Zum ersten Mal konnte ich über mich selbst lachen. Als ich den richtigen Knopf an der Waschmaschine gedrückt hatte und die Maschine anfing zu brummen, legte mir Petra ihren Arm um die Schultern und fragte: »Füllen wir nun das Formular vom Sozialamt aus?« – »Wir – zusammen?« – »Wir beide, ich helfe dir. Da kannst du dich drauf verlassen!« Mit einer Thermoskanne voll Kaffee gingen wir ins Büro. Wie ich mir meine Zukunft vorstelle, wollte sie nun wissen. Eine ungewöhnliche Frage für mich, denn sie bedeutete Planung, was ich in meinem vergangenen Leben selten gemacht hatte. Ich stand am Fenster und betrachtete die einzelnen Pflanzen auf der Fensterbank. Müssen gegossen werden, dachte ich. Nach dem Gespräch, nahm ich mir vor. Planung bedeutet zu ordnen und zu wissen, was als Nächstes dran ist. In der Küche hing ein Wochenplan für uns alle. Mich faszinierte dieser Plan, weil er mir sagte, was zu tun war. Kein meckernder Ehemann mehr, sondern ein Plan. Ich liebe Pläne, sie schützen mich davor, etwas falsch zu machen.
    »In Zukunft möchte ich mein eigenes Geld verdienen, Deutsch lernen und meine Kinder nach Deutschland holen«, sagte ich. »Teil dir den Weg in kleine Abschnitte ein, bis zum Tag X, an dem du deine Kinder holst«, riet mir Petra. »Wie denn?« – »Mach dir einen Wochenplan. Schreib dir auf … « – »Kann ich nicht!« – »Doch, versuch es und schreib auf, was du jeden Tag machen willst. Es soll ein Spickzettel sein, der dir hilft, deine Zukunft zu organisieren. Für jeden Tag nimmst du dir etwas anderes vor: heute den Antrag fürs Sozialamt ausfüllen, morgen zur Bank, um ein Konto zu eröffnen. Und so weiter.«
    Petra legte verschiedene Formblätter auf den Tisch. Ich konnte nichts lesen, verstand nicht einmal das Wort »Name«. Da fuhr sie mit den Fingern die Zeilen entlang und las laut vor. »Name, Nachname.« Unzählige Male sagte ich »Weiß ich nicht« oder »Kann ich nicht«. Doch jedes Mal entgegnete Petra: »Überleg mal genau.« Ich verstand, dass ich lernen musste zu überlegen. Sie hatte Geduld mit mir und füllte nach und nach jede Spalte aus. Sie schrieb, ich sah ihr zu. Und beneidete sie! Zum Schluss notierte Petra mir die Buchstaben des deutschen Alphabets mit jeweils einem Wortbeispiel auf ein Blatt Papier und steckte mir einen leeren Spiralblock zu. Wenn ich wolle, könne ich ja hier meine Pläne eintragen, sagte sie.
    An diesem Abend zog ich mich nicht sofort nach dem Abendbrot auf mein Zimmer zurück, sondern blieb am Tisch sitzen. Ich legte den Block und das Blatt mit dem Alphabet auf den Tisch. Jeden Buchstaben übertrug ich fein säuberlich in meinen Block. Darunter schrieb ich halb auf Tunesisch, halb auf Deutsch, so gut ich eben konnte: »Dienstag: Bankkonto eröffnen, Mittwoch: Einwohnermeldeamt«. Von nun an saß ich jeden Abend und schrieb.
    Im Frauenhaus konnte ich tun und lassen, was ich wollte. Keiner schrieb mir etwas vor, keiner zwang mich. Es war ein Raum, in dem ich mir eigene Grenzen setzen und eine eigene Struktur geben musste. In dem ich mich um mich selbst kümmern musste! Keiner

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