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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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und mein Atem kondensierte zu feinem, weißem Nebel. Die Sonne warf lange Schatten, und die Platanen streuten ihre Blätter in den Wind. Ich mochte das raschelnde Geräusch, wenn ich sie mit den Schuhen vor mir herschob. Es roch feucht, modrig, vertraut und heimelig, es schien mir, als ob ich den Geruch schon immer gekannt hätte.
    Ich ging allein spazieren. Durchstreifte die Umgebung des Frauenhauses, ging den Alsterkanal entlang. Manchmal konnte ich mein Glück gar nicht fassen: dass ich das durfte! Jeden Tag ein Stück weiter, Schritt für Schritt. Oft setzte ich mich aber schon nach wenigen Metern auf eine der Bänke am Kanal und blickte über das Wasser zum Horizont. Auf der Rückenlehne breitete ich meine Arme aus, schloss die Augen und genoss die Luft wie ein warmes Bad. Wenn die Enten aus dem Wasser hochstoben, rauschte es, und ich ging langsam weiter. Ohne meine Kinder! – Wie lange noch?
    Es war an einem dieser Tage, dass ich das Einkaufszentrum entdeckte. Zwei Parallelstraßen weiter, durch den Park und dann über die Straße. Geschäfte, Cafés, Restaurants, Apotheken, alles unter einem Dach, verbunden mit Passagen, so etwas kannte ich nicht. Hier konnte ich schlendern, bummeln, schauen. Hatte ich noch nie gemacht. Ich musste ja nicht gleich einkaufen. Ich betrat ein Geschäft nach dem anderen, hatte Zeit, fühlte und betrachtete die Kleider auf den Ständern, zog etwas heraus, hängte es wieder zurück. Wie im Schlaraffenland. Kurze Röcke, lange Röcke, durchsichtige Blusen, Wollpullover, Baumwollkleider. Ich war scheu und stellte mir vor, wie ich darin aussehen würde. In neuen, in eigenen Kleidern!
    Ich zauderte kaum, als ich das Geschäft für Brautmoden betrat. Schweigend strich ich die wenigen Regale entlang. Lauter Prinzessinnenkleider, kam es mir vor. Reich, elegant, edel – ein Traum. Und die pompösen Hochzeitsaccessoires erst! Als mich die Verkäuferin fragte, ob ich nach etwas Bestimmtem suche, deutete ich auf eine der Modellpuppen, die ein cremeweißes Brautkleid aus Wildseide mit aufgenähten rosa Blümchen und Schleier trug. »Mezian – das ist wunderschön!« Ich weiß nicht, was mich trieb, aber mit einem Lächeln frage ich die Verkäuferin. »Kann ich das probieren, oder ist es zu kompliziert?« – »Nein, nein, kein Problem, das wird Ihnen gut stehen. Es passt wunderbar zu Ihrem bronzefarbenen Teint und den dunklen Augen.« Sorgfältig entfernte sie die Stecknadeln, mit denen das Kleid festgesteckt war, und zog es der Puppe über den Kopf.
    Ich wagte kaum es anzufassen, so kostbar erschien es mir. Nichts für mich? – Doch! In einem kleinen Raum hinter dem Geschäft probierte ich es an. Die Verkäuferin war begeistert.
    Ich will mich vor dem Spiegel sehen! Es passt, ein Traum. Einmal Prinzessin sein! Als Kind hatte ich mir das immer gewünscht. Wovon jedes Mädchen träumt. Eine Prinzessin wie aus Tausendundeiner Nacht. Aber es ist kein Traum. Dieses Brautkleid passt so sehr zu meinem momentanen Gefühl wie kein anderes Kleid. Ich fühle mich frei, seit ich im Frauenhaus bin – frei wie eine Prinzessin. Ich bin eine Prinzessin.
    »Hübsch«, dachte ich und blinzelte mir zu, zupfte an den Rüschen, drehte mich und folgte mit meinen Augen dem Schwung des Stoffes. Ich schob die feinen Ärmel über die Ellenbogen, verschränkte die Arme und flirtete mit meinem Spiegelbild: »Gefällt mir!«
    »Werden Sie bald heiraten?«, hörte ich die Verkäuferin mitten hinein in meine Träume fragen. Ihre Worte erwischten mich wie eine kalte Dusche. Abrupt drehte ich mich zu ihr. Nie wieder!, wollte ich rufen, schluckte die Worte aber runter wie bittere Medizin, nickte nur. Da stimmte die Verkäuferin ein Loblied an, zuerst auf das Kleid, dann auf mich, meine Figur, meine Beine, meine Taille, meine Arme und mein Dekolleté. Das lenkte mich ab, ich lachte sogar, aber zu laut und zu künstlich.
    Nicht viel später kaufte ich mir in diesem Einkaufszentrum tatsächlich mein erstes Kleid. Aber kein Brautkleid. Von dem Geld, das ich für meine kleinen Dienste im Frauenhaus bekam, hatte ich eine Summe angespart. Ich suchte lange und probierte viel, denn ich wollte mir ganz sicher sein, dass das Kleidungsstück zu mir passte und mir wirklich gut stand. Bisher hatte ich keinen eigenen Stil, keinen Geschmack entwickelt, woher sollte ich wissen, was gut oder schlecht für mich war? Was mir gefällt und was nicht? Beiger Rock mit Oberteil, Demisaison-Schuhe, Wimperntusche, Gesichtscremes – alles billig –

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