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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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schimpfte, weil ich statt eines Kleides eine Hose anzog. Manchmal wunderte ich mich, dass ich nicht fragen musste, wenn ich auf die Toilette gehen wollte. Ich war frei. Konnte selbständig zum Briefkasten gehen und nicht nur meine, sondern die Post von allen Frauen herausholen und verteilen. Doch diese Freiheit macht mir auch Angst.
    Petra begleitete mich zur Bank, ein altes, ehrwürdiges Gebäude. Sie stellte sich mit mir am Schalter an. Wir hatten vorher geübt, was ich zu dem betreffenden Sachbearbeiter sagen sollte: »Ich möchte bitte ein Girokonto eröffnen.« Gemeinsam füllten wir Formulare aus: Vorname, Nachname, Geburtsdatum, Adresse. Mir brummte der Kopf, doch hinterher hielt ich einen Zettel mit meiner Kontonummer in der Hand, die Scheckkarte wollte man mir zuschicken. Ein tolles Gefühl. Am Eingang der Bank zeigte mir Petra die Automaten, an denen ich mit meiner Karte Geld abheben konnte. 50 Mark oder 80 Mark? Bloß nicht zu viel. Jedes Mal ist es eine schwierige Entscheidung. Überhaupt Geld. Lange wusste ich nicht, ob mein Geld, das ich im Portemonnaie habe, reicht, um beispielsweise einen Cappuccino zu bezahlen. Ich konnte das nicht einschätzen und rechnen. Doch nun war ich euphorisch. Zum ersten Mal in meinem Leben besaß ich eine Kontonummer und ein Konto.
    Am nächsten Tag wollte ich gleich wieder los. Alleine diesmal, aufs Einwohnermeldeamt. War ich aufgeregt! Machte mich sogar hübsch, zog mich chic an und schminkte mich mit Wimperntusche und Lippenstift. Aus dem Spiegel blickte mir eine selbstbewusste Frau entgegen. Frühstücken konnte ich nicht, keinen Bissen. Doch Anja versuchte mich zu beruhigen. Dass das alles Alltag sei und Routine, sagte sie, und dass im Einwohnermeldeamt täglich Ausländer ankommen, die kein Wort Deutsch können, und dass man mir sicher helfen würde, wenn ich alleine nicht zurechtkäme.
    Draußen war es kalt, zu kalt für die Jahreszeit, und ich schloss den Reißverschluss der schwarzen Jacke, die ich mir inzwischen aus dem Lager besorgt hatte, bis oben unters Kinn, um mich zu schützen. Ich nahm die U-Bahn, wieder mit der Angst, in die falsche Richtung zu fahren. Wieder fragte ich jeden, der mir über den Weg lief. Zuerst nach der U-Bahn, dann nach der Straße, dann nach der Hausnummer. Fragen auf Schritt und Tritt. Schon im Moment des Fragens, noch bevor ich eine Antwort bekomme, bin ich erleichtert. Weil ich dann nicht mehr allein mit meinem Problem bin. Fragen zur Selbstvergewisserung. Je mehr ich frage, desto mehr will ich wissen. Fragen machen neugierig. Und zum ersten Mal in meinem Leben bekomme ich Antwort auf meine Fragen. »Ein Mädchen fragt nicht«, hieß es zu Hause immer, und ich fragte nicht. Doch Fragen, die nicht gestellt werden, nagen und zerfressen einen, machen stumpf. Fragen zu verbieten ist ein Mittel der Unterdrückung.
    Als ich in den hellen Flur des Einwohnermeldeamts trat, war ich stolz. Ich hatte es erstaunlich schnell gefunden. Ein holzverkleideter kalter Raum mit einem Tisch und drei Stühlen vor einer Wand, zwei Türen, vor denen viele Menschen standen. Ich stellte mich hinten an und wartete auf das Aufleuchten des Signallichts an einer der Türen. Die Leute traten von einem Bein aufs andere, schnäuzten sich und husteten. Sobald das Signal von Rot auf Grün sprang, gingen sie, ohne anzuklopfen, durch die Tür.
    Ich dachte an meine Kinder, die ich schon monatelang nicht mehr gesehen hatte. Wie es ihnen wohl ging? Ich nahm mir vor, trotz des Verbots anzurufen und mich zu erkundigen. Meine Schwägerin würde es mir schon sagen. Dann war ich an der Reihe. Hinter einem Computer tauchte der strohblonde Kopf einer ältlichen Dame auf. »Was wollen Sie?«, fragte sie. »Mich anmelden.« – »Und das Formular? Wo ist das Formular? Haben Sie es ausgefüllt?« – »Welches Formular?« – »Na das, das da draußen vor der Tür im Regal liegt. Ich kann mich nicht um alles kümmern. Holen Sie sich ein Formular, und wenn Sie es ausgefüllt haben, kommen Sie wieder.« – »Aber … « – »Kommen Sie wieder, wenn Sie es ausgefüllt haben.«
    Mit einem solchen Empfang hatte ich nicht gerechnet, aber das gehörte wohl dazu. Ich hatte Tränen in den Augen. Was bildet die sich ein, mich so abzufertigen? War es nicht ihr Job, mir zu helfen? Ich zog meine Jacke an, ging raus und knallte die Tür hinter mir zu. »Na, alles gut?«, fragte mich Anja, als ich beim Mittagessen lustlos im Essen rumstocherte. »Gar nichts gut«, entgegnete ich und merkte, wie

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