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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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mich nicht aus. Da fasst er mich, er schiebt mein Kleid nach oben, zerrt an mir, drückt mich, stellt mich, setzt mich, legt mich in die Position, in der er mich haben will. Ich bebe. Ich weiß nicht, wohin mit meinen Händen. Wo? Was? soll ich mit meinen Händen bedecken? Mein Geschlecht, die Augen, den Mund?
    Abdullah sucht nicht den Mund, er denkt nicht daran, mich zu küssen. Ein weißes Tuch, ein Nachthemd schiebt er nun unter meinen Körper. Ich presse meine Knie zusammen, er drückt mich mit Gewalt in eine Ecke. Es muss jetzt schnell gehen, die Leute draußen warten. Er reißt schon meine Beine auseinander, spaltet und spreizt sie mit seinen Händen, zwängt seinen hageren, langen Körper dazwischen. Nein! Ich muss mich verschließen, zumachen! Muss mir etwas in den Mund stopfen, damit ich nicht schreie. Erwische ein Stück Bettdecke. Augen zu, ich spüre – nein, will nichts spüren – schaudere, bin taub, mein Fleisch ist taub –, ich spüre, wie ein Panzer in mich eindringt. Augen auf, zu, nein auf. Keiner hat mir gesagt, wie weh das tut. Ich erstarre und sehe, wie es mich zerreißt.
    Als meine Mutter und meine älteste Schwester ins Zimmer kommen, kauere ich noch immer in der Ecke. Ich habe nicht bemerkt, dass Abdullah hinausgegangen ist. Die Frauen flüstern leise in der Dunkelheit. Ich höre meinen Namen, Esma, aber antworte nicht. Um mich herum ist es feucht, ich bewege mich nicht von der Stelle. Rascheln von Stoff auf dem Teppich. Meine Mutter tastet sich auf allen vieren zu mir. »Hilfe, Ummi, bitte hilf mir!«, wimmere ich. Da spüre ich, wie ihre Hand nach meinen Beinen greift, wie sie über meine Waden streicht, einmal, zweimal, ein paar Mal, über meine nackten Beine. Ungewohnte Liebkosung, meine Mutter muss gekommen sein, um mir zu helfen, denke ich, als es schon wieder vorbei ist. Sie hat aufgehört, ohne ein Wort zu sagen, jetzt tastet und fasst sie nach dem Tuch. Das Nachthemd, auf dem ich immer noch liege, zieht es mit einem heftigen Ruck, leise vor sich hin grummelnd, unter mir hervor und kriecht zurück zu meiner Schwester. Wieder flüstern die beiden, dann sind sie verschwunden. Wie schwer die Dunkelheit ist. Von draußen höre ich schon das Johlen der Hochzeitsgäste. Sie feiern die blutige Trophäe, die Mutter und Schwester ihnen präsentieren. Eine Scheißnacht.

    Eine Autohupe schreckte mich aus meinen Träumen. Wir waren auf dem Weg nach Tunis. Ich leckte mir über meine Lippen, die aufgesprungen und salzig waren. Der fremde Mann neben mir, mein Mann, hatte gehupt, weil ein Schäfer mit seiner Schafherde über die sandige Straße zog. Wir mussten anhalten. Die Schafe blökten laut, ein paar Ziegen mit Glöckchen sprangen hin und her. Ich sah zu Abdullah. Über seine hohen Backenknochen breiteten sich weiße Flecken aus, auch auf seinem sehnigen Hals. Wieder drückte er auf die Hupe. Er fluchte. Gleich würde es dunkel werden. Zu spät für die Botschaft. Meine Papiere würden wir heute nicht mehr abholen können, auch keine Fähre nach Italien mehr erreichen. Wir würden bei seinem Cousin in der Hauptstadt übernachten müssen.
    Ich war müde. Die Frau des Cousins hatte Fladenbrot auf den Tisch gestellt und Tee gekocht. Ich hatte Hunger, bekam aber trotzdem nichts hinunter. Der Fernseher lief, während die Familie davor saß, bin ich auf dem Sofa eingeschlafen. Gut so. Ob ich gut schlief oder nicht, Angstträume hatte oder nicht, war nicht mehr wichtig seit meiner Hochzeit. Ob eine Nacht gut war oder nicht, beurteilte ich danach, ob Abdullah kam und etwas von mir wollte oder mich in Ruhe ließ. Es war eine gute Nacht in Tunis.
    Am nächsten Morgen musste alles schnell gehen. Wieder kein Bad, nur Katzenwäsche, mein Mann wurde noch einmal zu seiner schönen Frau beglückwünscht, dann fuhren wir los, um meine Papiere zu holen. Zuerst zur deutschen Botschaft, ein quadratischer weißer Villenbau mit Mauer und Stacheldraht im Nobelviertel von Tunis. Abdullah parkte auf offener Straße mitten in der Sonne. Er stieg aus und verschwand, nachdem er ein paar Worte mit den Wachleuten am Eingangstor gewechselt hatte, hinter der Mauer. Ich blieb im Auto sitzen, was hätte ich auch anderes tun sollen, spürte, wie meine Haare unter dem Kopftuch klebten. Aber ich wartete brav, traute mich nicht, das Auto zu verlassen und ein paar Schritte zu gehen.
    Die riesigen Palmen am Straßenrand erschreckten mich. Tunis war mir fremd, obwohl ich als Kind zwei oder drei Jahre mit meiner Familie hier gewohnt
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