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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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weg. Endlich in Ruhe umziehen, duschen, ausruhen. »Du musst die Reise genießen«, fuhr sie fort. »Du bist doch in den Flitterwochen. Wenn ich zurückdenke, wie das bei mir war: Mein Mann hat mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen.« – »Mein Mann beachtet mich gar nicht.« – »Daran musst du dich gewöhnen, das ist so bei uns.« – »Ich glaube, er liebt mich nicht.« – »Du täuschst dich, warum hätte er dich sonst zur Frau genommen.« Irgendwoher organisierte Asiya eine kalte Cola, sie schmeckte wie Champagner. Ich kannte zwar keinen Champagner, natürlich nicht, überhaupt keinen Alkohol, aber besser konnte Champagner nicht schmecken. Zum ersten Mal fühlte ich mich wohl auf dieser Reise. Ich legte mich auf eine der Gummiliegen und schlief sofort ein.
    Eine Stunde später, als die beiden Männer an die Tür klopften, um uns zum Abendessen abzuholen, wachte ich wieder auf. Vollkommen durcheinander, da ich selten tagsüber schlief. Ich hatte die Bilder eines sonderbaren Traums vor Augen: Mein Vater liegt im Bett. Er winselt. So wie ich tags zuvor meine Mutter vorgefunden hatte. Der Vater ist krank, todkrank und ruft nach meiner Mutter: Hani, Hani. Er ruft sie bei ihrem Kosenamen, so nennen normalerweise nur wir Kinder sie. Er ruft nicht laut, aber immer wieder. Sie scheint ihn trotzdem nicht zu hören. Wie immer sitzt die Mutter auf ihrem Stuhl am Herd in der Küche, blickt ins Leere. Ich sitze neben ihr und sehe sie an. Soll ich anstatt ihrer aufstehen und zum Vater gehen? Doch da richtet sie sich auf, stützt sich auf die Stuhllehne, sie macht einen Schritt auf mich zu und lässt sich schwer auf meinen Schoß fallen. Sodass ich kaum mehr Luft bekomme. Wie der Gurt im Auto umklammert sie mich mit ihren Armen. Ich keuche unter ihrer Last und kann mich nicht mehr von der Stelle rühren. Es dauerte eine Weile, bis ich aufwachte und wieder wusste, wo ich war: Auf dem Schiff. In Richtung Europa, nach Deutschland, mit einem Mann, der eiskalt war.

    Am nächsten Morgen beim Frühstück in einer riesigen Cafeteria fragte mich Asiya, wie es mir gehe, zum ersten Mal weg von den Eltern, auf der Reise in ein fremdes Land. Ihr Interesse tat mir gut. Sie spürte, wie unsicher ich war. Wenn sie von der Marmelade oder vom Brot nahm, fragte sie mich, ob ich auch etwas haben wolle. Das wäre Abdullah nie in den Sinn gekommen. Ich beobachtete die drei, wie sie mit dem Messer Marmelade aufs Fladenbrot schmierten. Wie elegant, ich hatte bisher nur selten mit einem Messer gegessen, versuchte aber, es ihnen nachzumachen. Asiyas Mann lachte mich an. »In Deutschland wirst du oft mit Messer und Gabel essen, nicht mehr mit den Fingern wie bei uns.« – »Das ist schwierig.« – »Nein, nein, du bist geschickt und wirst es schnell lernen.« Er war nett, und wenn er mit mir sprach, schaute er mir in die Augen. Das gab mir ein Gefühl der Freiheit. Von zu Hause, wo ich als Frau die Augen niederzuschlagen hatte, auch vor meinem Mann, kannte ich das nicht.
    Tat es ihm leid, dass Abdullah mich ignorierte? Ich weiß nicht, warum, aber plötzlich fragte er, ob wir bis Hamburg zusammen fahren sollten. Hintereinander im Konvoi und gemeinsam die Pausen verbringen. Ich sagte nichts, war aber froh, dass mein Mann zustimmte. Von Stunde zu Stunde fühlte ich mich abhängiger von ihm. Wer war ich ohne ihn? In meiner Handtasche befand sich schmutzige Wechselwäsche, sonst nichts. Kein Geld, kein Pass, kein Schlüssel, kein Wasser. Mein Mann hatte alles an sich genommen. Ich war niemand, aber eigentlich kannte ich es nicht anders von zu Hause. Was machen ohne Mann? Ich wusste nicht, was auf mich zukommen würde, und wusste nicht, was von mir erwartet würde.
    Um die Mittagszeit erreichten wir den Hafen von Genua. Wie Ameisen liefen die Menschen auf dem Schiff nun wieder alle durcheinander: mein Mann vor mir, die neuen Freunde hinter mir. Ich hatte Herzklopfen, doch als ich im Auto saß, legte ich den Gurt fast schon freiwillig an. Auf der Fähre war ich noch in einer Art Zwischenland, zwischen Wasser und Himmel gewesen. Als wir über die Metallrampe ins Freie fuhren, ruckte es. So als würde mein Band zur Heimat nun endgültig zerschnitten. Und ich spürte, jetzt beginnt ein neues Leben. Alles würde anders werden.
    Die Luft war feucht, kühl, lange nicht so heiß wie am Tag zuvor in Tunesien. Die Beamten, die uns aus dem Schiff winkten, trugen andere Uniformen und riefen Worte in einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte. Die Schrift auf
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