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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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schafften, sich zwischen den Autos heil hindurchzulavieren und gleichzeitig ihre Tabletts mit Früchten zu balancieren. Avocados, Kokosnüsse, Datteln, Orangen, Zitronen streckten sie uns durchs offene Autofenster herein. Aber Abdullah fuhr so ruckartig an und bremste wieder, dass ich Angst hatte, er würde ihnen die Arme ausreißen.
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis wir in den dunklen Schiffsbauch geruckelt waren und Abdullah den Motor abstellen konnte. Die Luft war zum Ersticken, mir war schlecht. Wenn ich wenigstens eine Flasche Wasser gehabt hätte. Aber ich hatte nicht daran gedacht, etwas zu trinken mitzunehmen. Meine Augen gewöhnten sich nur langsam an das Halbdunkel. Kühler war es hier. Aber Chaos. Überall rannten geschäftige Männer durcheinander, kleine Babys plärrten, hysterische Mütter schrien, und aus Lautsprechern dröhnten Befehle, die ich nicht verstand. »Achtung, der Bauch ist voll«, wahrscheinlich oder: »Achtung, Sie befinden sich auf dem Weg ans andere Ende der Welt.« Ich kapierte nichts, hatte aber das Gefühl, dass alle anderen mehr wussten als ich. Alle wussten Bescheid, jeder wusste, was er zu tun hatte.
    Männer schlossen ihre Autos ab, ich hörte das Klicken der Schlüssel in den Schlössern, und sie nahmen ihre Frauen und Kinder irgendwohin mit. Meiner auch. Durch ein schlauchiges, dunkles Labyrinth von Gängen folgte ich ihm, blieb ihm dicht auf den Fersen, weil ich Angst hatte, ihn zu verlieren. Was hätte ich auch ohne ihn tun sollen? Es dauerte lange, bis wir auf Deck kamen. Ein Aufenthaltsraum, schön ausgestattet mit farbigen Polstern, Sitzgruppen und kleinen Tischen. Das Meer leuchtete durch die Fenster. Schimmernd und sanft wie Samt, friedlich. Ganz im Gegensatz zu meiner aufgewühlten Verfassung. »Setz dich hierher«, befahl Abdullah. Sofort setzte ich mich und zog meine Tasche auf die Knie.
    Von jetzt an hatte er mich in der Hand. Ich spürte keinen Boden mehr unter meinen Füßen, alles fremd, neu, ungewohnt. »Bleib du hier und pass brav auf unsere Taschen auf«, sagte mein Mann, »ich muss noch etwas regeln.« Weg war er. Panisch blickte ich um mich. Es waren keine Taschen da, auf die ich hätte aufpassen können, die hatten wir im Auto gelassen. Aber wenn er sagte »bleib«, konnte ich ihm nicht widersprechen.
    Auch wenn ich gerne mitgegangen wäre. Ich wollte nicht alleine sein, sondern die Abfahrt vom Hafen miterleben. Aber wer weiß, vielleicht war es gut so, dieser Abschied hätte mich noch trauriger gemacht. Also saß ich da mit meiner blauen Handtasche auf dem Schoß, die Schultern hochgezogen wie ein flügellahmer Vogel. Nicht einmal aufzustehen traute ich mich, um nach einer Toilette zu suchen. Um mich herum wuselten Kinder mit Fantaund Colaflaschen. Ich wollte mir etwas zu trinken kaufen, doch mein Mann hatte mir kein Geld dagelassen.
    Das Schiff hatte längst abgelegt, weit und breit war kein Land mehr zu sehen, nur ein paar Möwen flogen hin und wieder an den Fenstern vorbei. Ich war in eine Art Trance verfallen, als mein Mann in Begleitung eines Ehepaars plötzlich wieder auftauchte. Wie durch einen Schleier hindurch sah ich sie auf mich zukommen: Abdullah, der mir von Stunde zu Stunde fremder wurde, eine junge Frau, klein, mit dichten Locken, und ein Mann, der ein aufgeregtes Kind an der Hand hielt. Die Frau begrüßte mich sofort: »Schön, dich kennenzulernen. Ich bin Asiya. Wir werden uns alle zusammen eine Kabine teilen.« Ich schreckte auf. Mein Gott, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht, wir würden die Nacht auf dem Schiff verbringen. Nicht zu zweit, sondern mit einer anderen Familie. »Freut mich«, sagte ich abwesend und merkte gleich, dass ich mich wirklich freute. Über eine weitere Nacht ohne Qual.
    Die Frau redete auf mich ein, fragte, woher wir kämen, erzählte, wohin sie gingen. Ich verstand nur die Hälfte, aber sie war nett und wusste Bescheid, weil sie nicht zum ersten Mal verreiste. »Kannst du mit mir zur Toilette gehen?«, fragte ich. »Natürlich, meine Liebe.« Ein Stein fiel mir vom Herzen, endlich war jemand da, der sich um mich kümmerte.
    Dann gingen wir zu fünft los, wieder über lange mit Teppichen belegte Flure durch das Labyrinth des Schiffsbauches, vor dem mir schon viel weniger gruselte. Wir holten unser Gepäck, stellten es in einer Kabine ab, in der es nach Plastik roch, und der Ventilator surrte wie eine Hummel. »Willst du dich nicht frisch machen?«, fragte Asiya und schickte die Männer und ihren kleinen Sohn
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