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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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schlug mit der Nase an den Bettpfosten. Blut lief mir übers Gesicht, während mein Mann weiter auf mich eintrat. Da war mein leichter Anflug von Rebellion verdampft wie Wasser und machte einem selbstzerstörerischen Gefühl Platz: Selbst schuld – du hast es nicht besser verdient! Warum kannst du deinem Ehemann nicht gehorchen? Und ich wimmerte wie einst meine Mutter unter der Bettdecke.
    Mit einem lauten Ratschen riss Abdullah die Pappschachteln der Tablettenpackungen auf, zerfetzte sie in kleine Stücke und streute sie über unser Bett aus. Er lief zum Schrank und wieder zurück. Ich blieb am Boden liegen und zog mir meinen weiten Pullover wie ein Schutzschild über die Knie. Ich hörte ihn mehr, als dass ich ihn sah. Wie er die Kärtchen mit den Pillen packte, wie es knisterte, als er die Tabletten herausdrückte, und wie er die Wohnungstür aufriss, hinausstürmte auf den gekachelten Flur, nach hinten im Hof zur Toilette. Und wie er wie ein Irrer an der Schnur für die Spülung zog. Immer wieder hörte ich es leer schnappen, weil er nicht wartete, bis der Wasserbehälter wieder vollgelaufen war.
    Es dauerte lange, bis alle Tabletten weggespült waren. Als er wiederkam, hatte er sich scheinbar beruhigt. »Na warte … «, zischte er nur. Ich kannte diese angespannte Ruhe zu gut an ihm, jeden Augenblick konnte er wieder explodieren.
    An diesem Tag traute ich mich nicht mehr raus aus dem Schlafzimmer. Erschöpft legte ich mich auf eine Matratze und schlief ein. Keiner schaute nach mir, Abdullah muss den Kindern das Abendbrot gerichtet haben, als sie vom Spielplatz gekommen waren. Es dämmerte, als ich aufwachte, weil die Tür aufging. Scheu kamen Amin und Jasin in Schlafanzügen herein, um sich schlafen zu legen. Ich sagte nicht »Hallo«, auch nicht »Gute Nacht«. Aber ich schlug die Bettdecke, die ich über mich gezogen hatte, zurück und stöhnte. Ich hätte sie heute gerne bei mir gehabt, meine beiden. Aber sie kamen nicht, vielleicht weil sie mich nicht stören wollten. Keine Ahnung, was mein Mann ihnen erzählt hatte. Sie waren verschüchtert, und ich hatte nicht die Kraft, mit ihnen zu sprechen oder sie in den Arm zu nehmen. Lautlos legten sie sich in ihre Bettchen, die am Fußende unseres Ehebetts standen und ein wenig ächzten. Sofort schliefen sie ein.
    Wenig später stand mein Mann in der Tür. Das Licht aus dem Wohnzimmer blendete mich. »Stehst du heute gar nicht mehr auf?«, fragte er drohend, und ich sah seine eingefallenen Wangen. »Doch.« Ich wusste, was jetzt kam. Und machte keinen Versuch mehr, mich ihm zu verweigern. Auch in den nächsten Tagen und Wochen nicht. Er nahm sich, was er wollte. Aber er bekam nicht mich, ich war nicht dabei. Bald fing ich wieder an zu kratzen. Ich hatte es geahnt: meine dritte Schwangerschaft. Es war meine schwierigste.
    Wenn ich daran denke, kommen mir die Tränen. So unglücklich war ich noch nie in meinem Leben gewesen. Eine Zeit, in der ich nichts mehr aß und nur noch im Bett lag. Mein Mut war weg, meine ersten kleinen Schritte in ein selbstbestimmtes Leben jäh gestoppt. Aus und vorbei. Nie werde ich von diesem Mann loskommen. Nie tun und lassen können, was ich will, nicht in Deutschland und in Tunesien sowieso nicht. Ich war ohne Hoffnung: aus der Traum vom Deutschlernen und vom Geldverdienen.
    Die Zeit war bleiern. Ich weinte nicht einmal mehr, war leer. Ich ließ mich gehen, mir war alles egal, nichts interessierte mich mehr, was um mich herum passierte. Gegen Ende der Schwangerschaft hatte ich Wasser in den Beinen. Die Ärztin verordnete mir »Bewegung«, aber ich bewegte mich nicht. Ich war so depressiv und in mir selbst gefangen, dass ich mich nicht einmal mehr richtig um Amin und Jasin kümmern konnte. Ich schickte sie morgens nicht mehr in den Kindergarten, kochte kein Mittagessen, wusch kaum noch Wäsche, ich weiß nicht, wer sich darum kümmerte.
    Abdullah regelte alles. Er muss die Jungs in dieser Zeit im Fußballverein angemeldet haben. Ich habe es nicht mitbekommen, nicht einmal gemerkt, dass sie zum Training gingen. Wie konnte mir das nur entgehen? Bis heute weiß ich nicht, wer sie hingebracht und wieder abgeholt hat. Auch die Spiele am Wochenende, es fiel mir nicht auf, wenn sie weg waren. Sie haben Fußball gespielt, ohne dass ich es wusste. Erst viel später sah ich die Kinder auf Fotos in ihren gelb-roten Trikots und konnte es kaum glauben.
    Ich frage mich, wer diese Trikots gewaschen hat? Sind das überhaupt meine Söhne? Auf einem Foto

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