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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Karimah zusammen war, desto weiter entfernte ich mich von ihm. Das spürte Abdullah, und es machte ihn misstrauisch. Auch ich selbst war unsicher. Wohin bewegte ich mich?
    Auf jeden meiner Träume folgte ein jäher Absturz. Eigene Pläne zu schmieden, etwas zu wollen oder auch nur daran zu denken, etwas zu wollen, war ungewohntes Terrain für mich. Ein paar Monate vorher hatte ich noch alles ohne Widerspruch hingenommen und nicht nach dem »Warum« und »Wieso« gefragt. Jetzt widersprach ich plötzlich und träumte davon, selbständig zu handeln. Woher kam das? Es war eine Wut in mir, eine irrationale Wut, die sich an kein konkretes Gegenüber richtete. Sie ängstigte mich. Manchmal so sehr, dass ich mich deswegen in der Wohnung verschanzte, um uns vor mir zu schützen. Ich war eine verkorkte Flasche, in der es gärte.
    Vom Küchenfenster aus hatte ich direkte Sicht auf den Spielplatz. So konnte ich meine Jungs laufen lassen und sie trotzdem sehen. Ich hörte ihre Stimmen, sie waren wie junge Hunde, die kläfften und sich balgten. Ich beobachtete sie, wie sie ihre kleinen Hände in die nassen, braunen Blätter vergruben, bis sie ihre Finger kaum mehr darum schließen konnten. Bevor der ganze Blattsalat herunterfiel, bewarfen sie sich damit. Manchmal scharrten sie auch in den Blätterhaufen, dass das Laub nur so hochwirbelte und wieder auf sie hinunterregnete. Die Kinder hatten ihren Spaß. Immer wieder kamen sie ans Küchenfenster gelaufen, riefen »Mama« und »Durst« oder »Hunger«. Dann beugte ich mich durchs offene Fenster und gab ihnen eine Tüte Kartoffelchips oder einen Tetrapack mit Saft. Oder ein paar Pfennige, damit konnten sie sich Eis oder Kaugummi in der Bäckerei um die Ecke kaufen.
    Fast täglich ging ich zu Penny, Holz holen. Feines Anfeuerholz aus den Holzkistchen der Mandarinen. Ich deutete mit dem Finger darauf, da wussten die Verkäuferinnen gleich, was ich wollte. Kistenweise schleppte ich sie nach Hause. Feuer machte ich gerne. Jeden Morgen schürte ich den Herd. Wie eine Beduinin setzte ich mich dann vor das schwarze Eisenteil und blies in die Glut, legte Holz nach und blies wieder. So lange, bis mir schwindlig wurde und ich nach Luft ringen musste. Ich genoss diesen Zustand der halben Besinnungslosigkeit. Er lenkte mich von meiner Einsamkeit ab – oder trieb mich weiter hinein. Ich weiß es nicht. Dann träumte ich von einem Spaziergang über einen bunten orientalischen Markt und dass ich meinen Kindern kaufen würde, was sie wollten. Mein Mann war nie dabei.
    Seit zwei Jahren ging der Große schon in den Kindergarten, der Kleine seit ein paar Wochen. Wenn Abdullah Spätdienst hatte, brachte er sie morgens hin. Es war nicht weit. Er wollte, dass sie selbständig zurückkommen. Mittags ging ich trotzdem öfter hin, um meine Jungs abzuholen. Ein niedriges Holzhaus, ein riesiger Garten mit alten Kastanienbäumen, eine lange Rutsche darunter. In meinen vier Wänden stand die Zeit still, aber hier pulsierte das Leben, wonach ich Sehnsucht hatte. Kaum war ich durch das Gartentor, lebte ich auf.
    Es roch nach feuchter Erde. Wenn Lebendigkeit einen Geruch hat, so ist es dieser: feuchte Erde. Meistens war ich zu früh da. In den Kindergarten traute ich mich nicht hinein, aber ich setzte mich dann auf einen der Holzklötze, die herumlagen, und schaute durch die großen Fenster in den Gruppenraum. Dort saßen die Kinder bei ihrer Abschiedsrunde zusammen, fassten sich bei den Händen und sangen. Immer das gleiche Lied. Ich hörte es durch das geschlossene Fenster, mein erstes deutsches Lied, das ich mitsingen konnte: »Alle Leut’ gehen ’raus, große Leut’, kleine Leut’, dicke Leut’, dünne Leut’. Alle Leut’, gehn jetzt nach Haus.« – »Tschüüühüüüüüs«, bis heute tönt mir dieses langgezogene Tschüs in den Ohren. Es war so vertraut, fast beneidete ich meine Söhne.
    Einmal sah ich, dass jedes Kind einen Pappteller mit einem dunklen Kuchenstück mit Smarties drauf vor sich stehen hatte. Das kannte ich nicht und fragte Amin später danach. »Wenn ein Kind Geburtstag hat, bringt seine Mutter einen Kuchen mit, und wir feiern.« Das wusste ich nicht, das hatte ich noch nie gemacht. »Soll ich dir zum Geburtstag auch einen Kuchen backen?«, fragte ich. Amin grinste über beide Ohren und jauchzte: »Bitte, bitte ja, Mama.« Mein Mann war dagegen, aber als Amin Geburtstag hatte, gab ich ihm heimlich eine große Dose Smarties und Kekse mit.
    Wie gern wäre ich hier selbst noch einmal

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