Loewenmutter
– und ich will solche Ängste nicht erneut durchmachen. Ich würde in der Apotheke nicht nur Jasins Medikamente holen, sondern mir jede Menge Packungen mit der Antibabypille geben lassen. Sie war fast umsonst in Tunesien. Abdullah hatte mich und die Kinder schnöde im Stich gelassen. Damit war Schluss jetzt. Ich wollte keine Kinder mehr. Nicht mit diesem verantwortungslosen Mann.
Ich erwischte eine Apothekerin, die ich gar nicht lange zu überreden brauchte. Ich erzählte ihr von meinem kranken Sohn, der gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen sei. Und dass ich nun keine Kinder mehr haben wolle, nicht noch mehr Sorgen. »Ich lebe in Deutschland, ich habe zwei Kinder und kann nicht mehr.« Sie sah mich an, fragte, ob es in Deutschland keine Pille gäbe. »Doch.« – »Und dein Mann …?« – »Mein Mann ist dagegen.« Es war die Frage und die Antwort, vor denen ich mich am meisten gefürchtet hatte, doch nun war es heraus. »Er sieht nicht, wie schlecht es den Kindern und mir geht«, fuhr ich fort, »er denkt nicht an uns. Nur an sich und an die vielen Kinder, die er noch haben möchte.« – »Das kenne ich, der Mann meiner Schwester ist genauso.« – »Und wenn man ihn braucht, ist er nicht da. Er hat mich mit meinem kranken Kind allein gelassen. Tanzt irgendwo auf der Hochzeit eines Cousins, während ich vor Angst sterbe, weil ich nicht weiß, ob mein Kind überlebt.« – »Nicht möglich.« – »Doch, das müssen Sie mir glauben!«
Ich redete eindringlich, es machte mir plötzlich nichts mehr aus, ob noch jemand zuhörte in der Apotheke oder nicht. Ich redete mich in Rage, gestikulierte und nahm die Apothekerin über den Tresen hinweg an die Hand: »Bitte, bitte.« Endlich wusste ich, was ich wollte. Es hatte lange genug gedauert, aber jetzt fühlte ich mich stark, die Angst um meinen Sohn und seine Gesundheit hatten mich selbstbewusster gemacht. Schließlich ging die Apothekerin nach hinten und kam mit mehreren Packungen der Antibabypille zurück. Ich konnte es kaum glauben. Es hat geklappt, so einfach. Weil ich einmal meinen ganzen Mut zusammengenommen habe. Weil ich gesagt habe, wie es mir geht und was ich will. Einer unbekannten Frau. Von diesem Augenblick an wusste ich: Es würde immer wieder schwer werden, aber wenn ich nur wüsste, was ich wollte, würde ich es auch bekommen. Dafür musste ich dann geradestehen, entscheiden, planen und Verantwortung übernehmen. Von diesem Tag an nahm ich heimlich die Pille.
Neue Hoffnung
Meine neue Freiheit sollte nicht allzu lange dauern. Es wurde Herbst und wurde Winter in Deutschland. Fast täglich hatten wir Nebel, er stimmte mich melancholisch. Karimah hatte ihr zweites Kind geboren und kam nicht mehr so oft zum Spielplatz. Manchmal ging ich bei ihr vorbei und half ihr beim Baden und Windelnwaschen. Mit meiner Freundin fühlte ich mich wenigstens nicht mehr alleine. Ich wollte kein drittes Kind mehr. Sie bestärkte mich, wir bestärkten uns: »Verweigere dich, setz dich zur Wehr. Lass nicht alles mit dir machen, nur weil du eine Frau bist.« Sobald Abdullah nachts anfing, an mir rumzumachen, gefror ich zu Eis und rollte mich an den äußersten Rand des Bettes. Das Nachthemd zugeknöpft. Ich wollte nicht mehr, oft nahm er mich trotzdem. »Du bist meine Frau, wozu solltest du sonst nütze sein?« Das ließ er mich nicht nur fühlen, das sagte er auch.
Karimah und ich redeten ohne Ende. Wir träumten davon, arbeiten zu gehen, eigenes Geld zu verdienen, Deutsch zu lernen. Wenn nur erst ihr Baby raus aus den Windeln wäre. Dann würden wir es gemeinsam versuchen. Auch wenn unsere Männer nicht einverstanden wären. Wir hatten beide keine Ahnung, aber irgendwie, dachten wir, würden wir es schon schaffen, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Und dann putzen gehen oder als Verkäuferinnen arbeiten. »Am liebsten in einer Bäckerei«, sagte ich, weil ich unsere erste Hamburger Wohnung so vermisste. Zum ersten Mal in meinem Leben machte ich Pläne, das war neu und stimmte mich optimistisch.
Mein Mann war nicht begeistert von unseren Treffen, obwohl er meine Freundin mochte. »Du gehst nicht mehr ohne mich aus dem Haus«, befahl er mir. »Warum nicht?« – »Weil ich es nicht will.« – »Auch andere Frauen gehen raus, wenigstens einkaufen, das erleichtert uns das Leben.« – »Du hast keine Ahnung, wovon du sprichst. Ein Frau bleibt im Haus, ist für den Mann da und erzieht die Kinder.« Er hatte recht, so hatte ich es gelernt. Je öfter ich jedoch mit
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