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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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ich immer, dass mir jeder ansah, wie unglücklich ich war und was für eine furchtbare Ehe ich führte. Das war natürlich Quatsch, aber ich genierte mich und wünschte mir insgeheim, dass ich jemandem mein Herz ausschütten könnte. Fragte sich nur, in welcher Sprache. Aber es gab tatsächlich den einen oder anderen, der mich jeden Tag fragte: »Wie geht’s? Alles okay?« Ich sagte: »Danke, gut. Und wie geht es Ihnen? Schönen Tag noch.« Wunderbare Momente. Bei diesen Leuten fühlte ich mich nicht als Putzfrau, sondern als Mensch. In ihren Büros habe ich länger sauber gemacht als in anderen, habe noch die Blumen gegossen oder die Bücher auf dem Regal abgestaubt.
    Eine Frau versuchte immer mit mir zu sprechen. Sie fragte woher und wohin, wie lange schon in Deutschland? Ich verstand nicht viel und konnte nur ein paar Worte antworten, aber auch bei ihr habe ich immer extra sauber gemacht. Den Aschenbecher geleert zum Beispiel, der nicht auf dem Programm stand. Aber es ging nicht lange gut mit der Arbeit, höchstens zwei oder drei Monate. Nicht wegen der Kinder, sondern wegen Abdullah. Jeden Tag hat er gemeckert, gar nichts konnte ich ihm mehr recht machen. Alles war schlecht. Ob die Kinder gebadet waren oder nicht, ob die Suppe versalzen war oder zu fade. Er schimpfte unentwegt: »Du bist einfach zu dumm.« Manchmal glaubte ich fast selbst daran. Es kostete mich enorm viel Kraft, mich seinen Anschuldigungen entgegenzustellen. Irgendwann warf ich das Handtuch und kündigte den Job. Ein Versuch war’s wert gewesen. Aber mir fehlte das Durchhaltevermögen, um wirklich etwas zu verändern.

    Es war wieder einer dieser typischen Nachmittage meines unglücklichen Ehelebens. »Hast du Amin gesehen?«, fragte ich Abdullah schon in der Haustür, als er um halb drei Uhr nachmittags von der Arbeit nach Hause kam. Amin war noch immer nicht von der Schule zurück, und ich machte mir Sorgen. Bei allen Nachbarn hatte ich geklingelt, mich mühsam vorgestellt, ich kannte ja keinen, und keiner kannte mich, und habe nach Amin gefragt. Ich war im Kindergarten gewesen, um Jasin abzuholen, und habe dort gefragt. War den Weg zur Schule abgelaufen, doch kein Amin. Ich machte Essen. Wo war er bloß? Ich kannte Amins Schulfreunde nicht, ihre Familien sowieso nicht, war nie auf einem Elternabend gewesen. Außer Karimahs Sohn und den Kindern der Erzieherin kannte ich keine Jungs in seinem Alter. Beide hatte ich schon alarmiert. Aber nichts. Amin war nirgends.
    »Warum hast du nicht sofort nach ihm gesucht?«, schrie mich Abdullah an. »Hab ich doch.« – »Um ein Uhr war die Schule zu Ende, und er ist immer noch nicht da. Das kann nicht sein, du hättest längst die Polizei rufen müssen.« – »Warum die Polizei?« – »Um ihn zu suchen, mein Gott, wie blöd bist du! Wenn ihm etwas passiert, ist das allein deine Schuld.« Es war März und noch ziemlich kalt. »Aber er hat doch einen warmen Anorak an«, rief ich, als ob die Kleidung das Kind schützen würde. Mein Mann hörte mich nicht mehr, denn er war schon wieder beim Auto, um noch einmal die Wege abzufahren.
    Ich blieb vor dem Haus stehen, keine zwei Minuten später sah ich Amin tatsächlich quer über den Spielplatz rennen, direkt auf mich zu. Mit seinem schweren Ranzen auf den schmalen Schultern, mit roter Nase und roten Wangen, aber fröhlich: »Mama, Mama«, rief er. – »Ich hab dich vermisst. Wo warst du, mein Schatz?« – »Oben beim Festplatz ist ein Zirkus.« – »Allein?« – »Nein mit Freunden. Wir waren bei den Tieren, Ponys und einem Zebra. Wir haben die Tiere gestreichelt, und wir durften ihnen sogar etwas zu fressen geben. Aus der Hand.« Mein Kind war im Glück, aber ich weinte. Natürlich fragte ich: »Warum bist du nicht nach Hause gekommen und hast Bescheid gesagt? Wir haben uns solche Sorgen gemacht und dich überall gesucht.« Aber das hörte Amin nicht. Er wollte nur von den Tieren erzählen.
    Ich habe ihm den Ranzen abgenommen und seine kalten Hände gerieben. Er plapperte weiter, und ich nahm seine Hände in meine und blies hinein. So standen wir, bis mein Mann zurückkam. Er sprang aus dem Auto, ließ den Motor laufen. »Wo warst du?«, schrie er, als er uns sah. Amin lief auf ihn zu: »Im Zirkus, Papa … « Da sah ich, wie Abdullah Amin mit beiden Händen bei den Schultern packte. Im nächsten Moment würde er zuschlagen, ich sah es vor mir … Mir schoss das Blut in den Kopf, ich spürte, wie es an meiner Schläfe pochte. Angst und Zorn breiteten

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