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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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wenn er Urlaub hatte. »Kannst du in Deutschland nicht einen Führerschein brauchen?«, hatte mich mein Vater gleich in den ersten Tagen gefragt. Er war milde geworden, wenn er helfen konnte, war nichts mehr von seinem Jähzorn zu spüren. »Doch ja, bestimmt. Warum?« – »Du könntest ein Auto nach Tunesien fahren, das wir dann hier verkaufen oder für uns behalten.«
    Der Traum meines Vaters war ein deutsches Auto. Wie es der Traum aller unserer Bekannten, aller Nachbarn und der ganzen Verwandtschaft war. Normalerweise fahren wir mit Bus oder Taxi. Das ist nicht teuer, kostet nicht einmal einen Dinar, und es geht gut. Eigentlich brauchen wir kein Auto, keiner kann sich eines leisten. Bis heute nicht. Aber wer ein Auto besitzt, ist besser dran als andere. Ist ein angesehener Mann. Deshalb war Abdullah auch eine gute Partie gewesen. Dass ich nicht lache!
    Ich freute mich trotzdem über Vaters Vorschlag. Von selbst wäre ich nicht darauf gekommen, aber natürlich war ich einverstanden mit einem Führerschein. Abdullah brauchte ich diesmal nicht zu fragen. Wenn mein Vater etwas vorschlug, konnte er nichts dagegen haben. Außerdem war er nicht da und bekam es nicht mit.
    Nicht einmal, als er nachkam. Mein Vater hatte mich bei einer Fahrschule angemeldet, und ich nahm Fahrstunden. Wieder wusste ich nicht, wo mein Mann sich herumtrieb. Bei seiner Familie, Brüdern, Schwestern? In unserem neuen Haus verbrachten wir jedenfalls kaum eine Woche gemeinsam als Familie. Obwohl es für die Kinder schön gewesen wäre, unten am Fluss zu spielen. Aber ich hatte keine Lust dazu, weil ich mich bei meiner Familie wohler fühlte. Dort hatte ich Abdullah nicht ständig um mich. Meine Mutter war in den vergangenen Jahren gesprächiger geworden. Meine Schwestern und Brüder, auch wenn sie inzwischen alle verheiratet oder sonst wie ausgezogen waren, kamen fast täglich vorbei, um mich mit meinen Kindern zu besuchen.
    »Das Geld hätte sich dein Vater sparen können«, reagierte Abdullah nun sehr abweisend. »Warum hat er nicht zuerst mit mir darüber gesprochen? Weißt du, dass es hier gar nicht erlaubt ist, mit einem tunesischen Führerschein zu fahren?« – »Aber ich habe doch das Papier.« – »Das nützt dir leider gar nichts. Früher ja, da musste man in Deutschland nur die Theorie nachmachen, dann durfte man fahren. Heute nicht mehr. Du musst den Führerschein komplett neu machen.« Ich wurde wütend, warum hatte mir das keiner vorher gesagt? »Dann werde ich eben den Führerschein hier noch einmal machen. Das kann doch nicht so schwer sein.« – »Nicht schwer, aber teuer. Woher willst du das Geld nehmen?« – »Willst du es mir nicht geben?« – »Nein.« Nun rückte ich mit der Idee meines Vaters heraus: »Aber ich könnte dir beim Autofahren helfen.« – »Wie das denn?« – »Wir könnten in Deutschland ein zweites Auto kaufen, dann mit beiden nach Tunesien fahren. Eines könntest du dort wieder teuer verkaufen. Du weißt, wie begehrt deutsche Autos sind. Wir könnten viel Geld damit verdienen.«
    Abdullah ließ sich nicht beim ersten Mal überzeugen, auch nicht beim zweiten Mal. Doch nach ein paar Wochen kam er mit Büchern, die er auf den Küchentisch knallte: »Hier, schau da rein. Ich weiß nicht, wie du das hinkriegen willst, aber bitte schön – wenn du unbedingt einen Führerschein machen möchtest … Steht alles drin, was du brauchst.« Damals kannte ich nicht einmal die deutschen Buchstaben. Trotzdem, ich weiß nicht wie, habe ich es gelernt. Abdullah hat mir gezeigt, was wichtig ist, mir Fragen und Antworten vorgelesen. Er hat die Texte übersetzt, und ich habe alles auswendig gelernt. Auf den Fragebögen habe ich mir die Zeichen eingeprägt, gewusst, das ist die Frage, und dazu gehört diese oder jene Antwort. Was mir fremd vorkam, war falsch, was ich wiedererkannte, war richtig.
    Die theoretische Fahrprüfung habe ich dann auch tatsächlich sofort bestanden, nur die praktische nicht. Ich hatte den Kopf nicht frei und war viel zu unkonzentriert. Auch wenn ich gerne fuhr. So war ich wenigstens weg von zu Hause. Ich konnte fahren, gut parken, alles, was mir der Fahrlehrer sagte, nur selbständig konnte ich gar nichts. War viel zu aufgeregt. Nach ein paar Metern Fahrt mit dem Prüfer sagte er: »Bitte fahren Sie rechts ran.« Das war’s dann.

5.
    »Vergiss die Kinder«
    »Ich habe Tickets für euch besorgt«, kam Abdullah eines Tages nach Hause.« Es war Sommer 1990. »In einer Woche fliegt ihr.« Er sagte

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