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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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sich in mir aus. Und ohne zu überlegen, sprang ich auf die zwei zu, griff Amin mit beiden Händen am Arm und riss ihn weg. Nein, unseren Sohn sollte Abdullah nicht schlagen, ihn nicht! Eben hatte der Junge noch gelacht, jetzt schluckte er, sog die Luft ein und schluchzte wie ein Baby. »Geh, bitte«, rief ich, aber da lief Amin schon ins Haus zu seinen Geschwistern. Abdullah schäumte. »Nicht vor allen Leuten … «, zischte er zynisch. Da zog er mich schon in den Hausflur, warf mich gegen die geflieste Wand und schlug zu. Dann ging er hinaus, um den Motor des Autos abzustellen. Ich schrie nicht, heulte nicht, sagte keinen Ton, ein Nachbar von oben kam die Treppe herunter, wir schauten aneinander vorbei.
    In unserem Schlafzimmer legte ich mich auf den Fußboden. Es war kalt, und ich fror, ich wickelte mich in eine Decke, und alles brach von Neuem über mich herein. Ich bin gefangen! Wie lange noch? Muss mich befreien! Wenn es nur nicht so schwer wäre … Mit trotzigen Bewegungen wischte ich mir meine Tränen aus dem Gesicht.
    Als ich die Tür öffnete, lag mein Mann im Wohnzimmer auf dem Sofa, so als ob er den Vorfall schon vergessen hätte. Er schaute fern, die Kinder auch. Wortlos stellte ich jedem einen Teller mit Cornflakes hin, das mochten sie, ich fütterte Amal, wusch sie. »Wer zuerst fertig ist mit Zähneputzen, bekommt morgen ein Überraschungsei«, forderte ich Jasin und Amin auf, sich bettfertig zu machen. Sie trödelten ein wenig, aber ich ließ sie gewähren. Dann brachte ich sie zu Bett und legte mich wie immer zu ihnen, bis sie eingeschlafen waren.
    Ich wartete, dann stand ich auf und starrte Löcher in das Dunkel des Zimmers. Ich muss etwas tun, aber was? Weglaufen! Doch wohin? Ich gehe zum Fenster, schiebe die Vorhänge zurück. Ohne zu wissen, was ich tue, mache ich ganz automatisch das Fenster auf und steige hinaus. Ohne klaren Entschluss. Will nur weg. In diesem Moment denke ich nicht an die Kinder, nur weg.
    Zuerst lief ich ziellos Richtung Penny-Markt, bog um die Ecke. Die Polizeistation, kam es mir plötzlich in den Sinn, sie war nicht weit. Ich hatte sie oft gesehen, wenn ich einkaufen war. Meistens standen zwei grün-weiße Autos vor der Tür.
    Kann ich einfach reingehen? Sagen, was passiert war? Mir würde schon etwas einfallen. Aber kann ich das? Warum eigentlich nicht! Mit einem Satz nahm ich die beiden Stufen hoch zur Eingangstür und ging an diesem Abend zum ersten Mal zur Polizei. Ich hatte mich getraut! Wenn mein Mann die Polizei wollte, dann sollte er sie haben. Er selbst hatte mich auf die Idee gebracht, als er fragte, warum ich sie nicht wegen Amin geholt hatte. Vorher hatte ich nicht dran gedacht, aber jetzt dachte ich daran.
    Polizisten machten mir keine Angst, mein Vater war selbst einer. Als mir ein Mann in Uniform entgegenkam, sprudelten die Worte nur so aus mir heraus. Ich überlegte nicht lange, ich legte los. »Mein Mann schlagen, immer schlagen. Mitkommen, sofort helfen«, so ungefähr stammelte ich. »Alleine – nicht mehr zurück.« Der Polizeibeamte, ein junger Typ mit stoppelkurzen Haaren, guckte ungläubig. Ich hatte ihn überrumpelt. Redete immer weiter, er rief nach einem Kollegen, sie wussten nicht, was sie von mir halten sollten. Sie stellten mir ein paar Fragen, die ich natürlich nicht verstand. Trotzdem sprach ich weiter, immer wieder dieselben Worte: »Mein Mann – schlagen.«
    Es klang wahrscheinlich hysterisch, nach ihren Blicken zu urteilen war ich ihnen unheimlich. Was sollten sie mit mir machen? Ein Protokoll konnten sie nicht aufnehmen, dazu erzählte ich viel zu wirr und zu unverständlich. Ich wusste selbst nicht genau, was ich wollte, nur eines wollte ich nicht: alleine nach Hause gehen. Irgendjemand sollte mein Leid sehen und meinen Mann verhaften, damit ich ihn für immer los war. Als ich einen der beiden Beamten am Arm packte und Richtung Ausgang zerrte, merkten sie, dass ich es ernst meinte, und nach einem kurzen Funkspruch setzten wir uns tatsächlich in Bewegung. Wir gingen zu Fuß, ich voraus. Meine Füße waren eiskalt, da ich nur Hausschuhe anhatte.
    Sie klingelten an der Wohnungstür. Es dauerte eine Weile, bis Abdullah öffnete. Wahrscheinlich war er vor dem Fernseher eingeschlafen, doch nun hörte ich, wie er langsam durch die Küche ging und den Schlüssel im Schloss umdrehte. Er blinzelte, als er uns sah, seine Nasenflügel zuckten. Man hörte, wie er die Luft ausblies: »Was ist passiert?«, fragte er mich auf Arabisch und suchte

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