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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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ich nicht mehr.

    Als Abdullah abends kam, saß die Familie beim Essen. Alle hatten mitbekommen, was los war, aber keiner außer mir schien sonderlich bekümmert. »Bleib halt da«, war der Kommentar meiner Mutter, wie immer hatte sie ihre Hände gefaltet und in den Schoß gelegt. Meine jüngere Schwester sagte gar nichts. Man hatte sich auf der Terrasse rund um eine große Holzschüssel mit Couscous niedergelassen, aß mit den Fingern und packte das Gemüse zwischen große Fladenbrotstücke. Mir war schlecht, ich konnte nichts essen. Merkte, wie mein Mann mich belauerte. Er schien bester Laune zu sein, zog seine Schuhe aus, stellte sie ordentlich zusammen an die Hauswand. Ich brachte ihm Brot. »Geht’s gut in Deutschland?«, fragte der Vater. – »Ja, sicher«, entgegnete er, während er sich auf die Teppiche zu den anderen setzte. »Erzähl, was macht die Arbeit und das Geld?« – »Alles gut, auch wenn es für uns Gastarbeiter schwieriger geworden ist, nicht mehr so einfach ist wie früher.« – »Aber du bist doch gut im Geschäft? Sieht man doch an deinem Auto.« – »Klar, ich bin seit über 15 Jahren in derselben Firma. Die rechte Hand des Chefs. Aber die goldenen Zeiten sind vorbei. Wir Ausländer waren immer für jede Arbeit gut. Doch seit mehr Menschen aus dem Osten kommen und nach Jobs suchen, haben viele Landsleute Angst, arbeitslos zu werden.« – »Wer kommt aus dem Osten?« – »Deutsche aus Ostdeutschland. Bis vor einem halben Jahr waren der Westen und der Osten durch eine Mauer getrennt. Jetzt kommen viele in den Westen, weil dort die Löhne höher sind. Jeder von uns fürchtet um seinen Job.« – »Aber ihr habt doch gute Arbeit gemacht?« – »Ja, aber wir Ausländer sind nicht mehr so gerne gesehen. Plötzlich heißt es, wir würden den Deutschen die Arbeit wegnehmen. Die Situation hat sich verändert.« – »Trotzdem ist sie besser als hier.« – »Ja, nicht zu vergleichen. Aber mit Aufenthaltsbewilligungen ist man geizig geworden. Nicht mehr jeder kann nach Deutschland kommen und gehen, wie er will.«
    Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Was meinte Abdullah damit? Dass ich womöglich nicht mehr nach Deutschland kommen kann? Ich ärgerte mich, ich hatte keinen Pass, und die beiden Männer hatten nichts Besseres zu tun, als sich über Politik zu unterhalten. Nie hat jemand mit mir über Politik gesprochen, vielleicht hätte sie mich sogar interessiert. Aber ich weiß nichts von einem Kanzler, und von einer Mauer in Deutschland habe ich sowieso noch nie etwas gehört. Aber nun war ich doch hellhörig geworden. Wenn es zu viele Leute in Deutschland gibt, würde ich womöglich nicht mehr einreisen können? Will man mich nicht mehr haben? Und die Kinder?
    Nach einer halben Stunde kamen die Männer endlich auf meine verschwundenen Papiere zu sprechen. »Warum hast du eure Papiere Esma gelassen?«, fragte mein Vater vorwurfsvoll, »sie sind doch wichtig.« – »Ich dachte, sie könne darauf aufpassen.« – »Ausweise haben nichts bei einer Frau zu suchen, merk dir das. Du hättest sie lieber bei dir gelassen oder mir gegeben.« – »Die Zeiten haben sich geändert, Abdelhamid, die Frauen werden selbständiger. Und dass jemand seinen Pass verliert, kann ja mal passieren.« Jetzt nahm mein Mann mich auch noch in Schutz. Während er sprach, fuhr er sich mit seinen Fingern durch die Haare, er war sich seiner sehr sicher. Seine Haare waren lang. So wirkte sein Gesicht noch spitzer. Wie die jener wilden Hunde, die auf den Straßen in den Abfalltonnen wühlen, die die Gemeinde irgendwann aufgestellt hatte, die aber nie geleert wurden. Ich erkannte Abdullah nicht wieder, so aufgeräumt und weltmännisch, wie er sich benahm.
    »Ich werde alles tun, um für Esma so schnell wie möglich die notwendigen Papiere zu bekommen«, fuhr mein Vater fort. Doch mein Mann beschwichtigte: »Lass, Abdelhamid. Ist nicht nötig. Ich werde mich von Deutschland aus darum kümmern. Hier halten doch bloß alle die Hand auf. Du kennst doch unsere Behörden. Langsam und unzuverlässig. Ich will nicht, dass du dich mit solchem Kram belastest.« Der Vater ließ sich von seinem Schwiegersohn beruhigen. »Esma wird vorerst hierbleiben müssen. Es wird nicht lange dauern. Bei euch ist sie gut aufgehoben.« Dagegen konnte mein Vater wirklich nichts haben. »Lass auch Amal da, sie ist ja noch klein«, schlug er vor. »Dann werden wir sie hier einschulen.« – »Okay, aber Jasin und Amin nehme ich mit. In einer Woche fängt in

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