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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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es von Amal. »Lass uns nicht allein«, von Amin und Jasin. Doch Abdullah startet das Auto, der Motor heult auf, und die Räder drehen durch, als er auf dem sandigen Weg losfährt und beschleunigt.
    300 Kilometer bis zum Flughafen. Nach einer halben Stunde schliefen die Kinder erschöpft ein. Gedankenverloren blickte ich aus dem Fenster, aufgewühlt bis ins Innerste. Ich sah die Landschaft an mir vorbeiziehen, Kamele zur Tränke traben. Sah die steinig rote Steppe, wo dicke Büschel von Espartogras wuchsen, das Frauen in bunten Gewändern und weißen Tüchern über Kopf und Schultern schon früh am Morgen geerntet hatten und nun in Bündeln auf ihren krummen Rücken nach Hause trugen, um es dort zu Körben und Matten zu flechten. Warum konnte ich nicht hierbleiben mit meinen Kindern und Körbe flechten wie diese Frauen? Meinen eigenen Lebensunterhalt verdienen?
    Als wir durch die Stadt der Teppiche fuhren, tönte mir der Muezzinruf wie eine Warnung in den Ohren: »Ohne Mann und Kinder bist du nichts.« Und als wir an den frisch geschlachteten und gehäuteten Schafen, die vor den kleinen Häuschen am Straßenrand zum Verkauf hingen, vorbeikamen, meinte ich ihr Meckern zu hören, bevor sie zur Schlachtbank geführt wurden. Abdullah fuhr wie ein Verrückter, irgendwann hielt er an, um Obst zu kaufen. Orangen, Bananen, Datteln. Die Kinder wachten auf, wir aßen, und ich fragte mich, wann ich wohl das nächste Mal Obst mit meinen Söhnen essen würde? Zwei, drei Wochen hatte mein Mann gesagt. Es fühlte sich an wie für immer.
    Die Kinder hatten nur ihre Rucksäcke mit Jacken und etwas zu essen dabei und eine kleine Tasche um den Hals für Pass und Ticket. Das Gepäck wollte Abdullah im Auto mitnehmen. Es war halb elf Uhr vormittags, als wir am Flughafen ankamen. Abdullah ging voran, ich ein paar Schritte hinter ihm, wie immer, die Kinder an der Hand. Vorbei an Cafés, vor denen junge Männer saßen und Wasserpfeife rauchten, und vorbei an Geldwechselstuben. Jasin und Amin waren aufgeregt. »Mama, Papa, was soll ich machen, wenn mir im Flugzeug schlecht wird?« – »Sag der Stewardess Bescheid, sie wird dir eine Medizin geben.« – »Und wenn ich nicht weiß, wo mein Platz ist?« – »Dann fragst du jemand und zeigst ihm deine Bordkarte.« – »Was ist eine Bordkarte?«, und so weiter.
    Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sich unsere Jungs zurechtfinden sollten. Sie waren so verängstigt. Um mich selbst zu beruhigen, hängte ich an jede meiner Antworten den Satz: »Ihr seid groß genug, ihr schafft das schon.« Abdullah war damit beschäftigt, den Schalter zu suchen und die Ausreiseformulare auszufüllen. Als uns die Frau von Tunis-Air die Bordkarten hinschob, durchzuckte es mich: Ich würde meinen Flug gleich umbuchen lassen. Meinen Mann darum bitten. Also fragte ich ihn leise: »Hier das Ticket, machst du das für mich? Zwei Wochen hast du gesagt?« – »Wie bitte? Wie soll das denn gehen?«, herrschte er mich an. »Schon vergessen, dass dein Pass fehlt?« Mit einer unwirschen Handbewegung drängte er mich weg. Vor all den anderen. Er hatte so laut gesprochen, dass es jeder hören konnte. Alle wussten jetzt, dass ich nicht einmal auf meine Papiere achten konnte, was doch das Wichtigste war, wenn man im Ausland lebt.
    Ich schämte mich, schaute hoch zu den orientalischen Lüstern an der Decke, dann ins Leere und zog mein Tuch, das ich an diesem Tag umgebunden hatte, tiefer in die Stirn. Gleichzeitig straffte ich trotzig die Schultern. Irgendwann würde ich es allen zeigen.
    Als wir fertig waren, musterte Abdullah die Menschenschlange hinter uns. Er fand tatsächlich jemanden, den er flüchtig aus Hamburg kannte. Es war Ferienende, deswegen nicht unwahrscheinlich, dass andere Tunesier ebenfalls aus ihrem Urlaub zurückkehrten. Unter Landsleuten kennt man sich. Mein Mann ging auf einen sympathisch aussehenden rundlichen jungen Mann zu, neben dem eine Frau mit Tuch um die Schultern stand. Sie begrüßten sich mit Handschlag, dann deutete Abdullah auf unsere Söhne und schien zu verhandeln. Ich verstand nicht viel, dachte mir aber, dass er sie fragte, ob die beiden während des Fluges ein Auge auf unsere Kinder haben könnten. Wahrscheinlich hat er auch gefragt, ob sie Jasin und Amin irgendwo hinbringen könnten, wenn sie in Hamburg ankämen. Ich weiß nicht, vielleicht hat er ihnen auch eine Adresse zugesteckt, vielleicht aber auch nur gesagt, wem sie am Flughafen unsere Söhne übergeben sollten.
    Er selbst konnte

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