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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Hamburg die Schule an. Die Jungs können unmöglich bleiben.«
    Beschwörend sah Abdullah zu mir herüber. Ich saß auf einem Plastikstuhl vor dem großen, weißen Eingangstor, das mit blauen Fischen verziert war. Jede Familie hat ein anderes Symbol an ihrer Tür. Warum es bei uns ausgerechnet Fische waren, weiß ich nicht. Nie hatte meine Familie etwas mit Wasser zu tun gehabt. Wir kamen aus dem Süden, aus der Wüste, dem Land der Berber. Ich hatte einen trockenen Mund und schluckte.
    »Ich werde eine vorläufige Aufenthaltsbewilligung für Esma beantragen müssen. Das geht schnell, sie werden schon wegen der Kinder eine Ausnahme machen«, meinte Abdullah und fixierte mich weiter. Wahrscheinlich um zu sehen, wie ich reagierte. In Deutschland hätte ich ihm widersprochen, aber nicht hier vor meinem Vater. Ich vertiefte mich weiter in das Fischsymbol. Was es wohl bedeutete? Schutz vor bösen Geistern? Vielleicht gab es eine Oase dort in der Gegend, aus der Vaters Familie stammte.
    Nun kamen Jasin und Amin, sie setzten sich neben mich auf den Boden, und ich kraulte sie im Haar. Ich fragte in diesem Moment nicht: »Was ist, wenn sie mich vermissen?« Sagte auch nicht: »Ich werde sie vermissen.« So weit konnte ich nicht denken. Überhaupt konnte ich mir nicht vorstellen, von meinen Kindern getrennt zu sein. Aber ich fühlte einen dunklen Abgrund, der sich unter mir auftat und der mich fast unmerklich aufsog.
    Obwohl ich in Deutschland einige selbständige Schritte unternommen hatte, fiel ich hier in meine alte Rolle zurück. Ich war wie gelähmt und kam gar nicht auf die Idee, mein Anliegen selbst in die Hand zu nehmen. Ich hätte bei der deutschen Botschaft nach einem vorläufigen Visum fragen können. Sicher hätte man ein Einsehen mit mir gehabt und gesagt: Die Kinder brauchen ihre Mutter. Im Nachhinein weiß ich, dass ich sogar sofort ein Visum bekommen hätte, auch ohne Ausweis. Aber die Männer hatten entschieden, dass ich hierbleiben und warten soll. Nicht im Traum wäre mir eingefallen, diese Entscheidung in Frage zu stellen.
    Ich betrachtete die Jungs und brachte es nicht übers Herz, ihnen zu sagen: »Habe meinen Pass verloren, tut mir leid, aber ihr müsst ohne Amal und mich nach Hamburg zurückfliegen. Ihr beide alleine, weil Abdullah ja mit dem Auto gekommen ist und damit auch wieder zurückfahren muss.« Während ich die beiden immer noch in den Haaren kraulte, wandte sich mein Vater an sie und erklärte den beiden, dass sie ohne ihre Mutter nach Deutschland zurückfliegen müssen. Er fürchte sich aber alleine, entgegnete Jasin und umschlang meine Beine. »Das schaffst du mit deinem großen Bruder. Ihr seid alt genug.« Nun fing auch Amin an zu weinen, und ich fühlte mich schuldig und schlecht. Warum tat ich ihnen das an?
    Die Zeit bis zum Abschied war kurz. Ein Samstag, der schlimmste Tag meines Lebens. Früh fuhr Abdullah mit dem Auto vor. Er hatte es eilig, wollte zuerst die Jungen zum Flughafen bringen, dann mit dem Auto zur Fähre. Der Himmel war milchig, glänzte lila, angestrahlt von der Sonne, die gleich über der flachen Steppe aufgehen würde. In den Akazienbüschen an den Straßenrändern zwitscherten die Regenpfeifer, von der Moschee rief der Muezzin zum Gebet. Ich weckte die Kinder mit einem flauen Gefühl im Magen. Es zerriss mir das Herz, als ich sie so friedlich liegen sah, mit ihren dünnen Beinchen, mit denen sie sich im Schlaf von der Bettdecke freigestrampelt hatten. Ich wollte sie bei mir behalten, nicht gehen lassen. Ich würgte, stürzte aufs Klo, gelbe Galle kam hoch.
    Die Koffer und Rucksäcke der Kinder hatte ich am Abend zuvor schon gepackt. Ich musste nur noch Kaffee kochen. Doch jede Bewegung fiel mir schwer, so als hätte ich Blei in den Händen. Ich wollte meine Kinder nicht loslassen und fühlte doch, als würde ich von einer Welt mit Kindern in eine Welt ohne Kinder gesogen. Allein in einem Boot, das sinkt und mich mit nach unten zieht, bis ich nichts mehr sehe.
    Mein Vater war schon auf den Beinen, die Mutter schlief noch. Abdullah drängelte, aber der Vater wollte, dass die Jungen frühstücken, bevor es losgeht. Fladenbrot eingetunkt in Olivenöl. Sie mochten es nicht, ihr Gemecker riss mich aus meinen dunklen Gedanken. »Warum gibt’s hier keine Snacks oder Cornflakes«, jammerte Jasin. »Ich bin froh, wenn wir wieder in Deutschland sind und Schokoflakes essen können«, sagte Amin. »Ja«, entgegnete ich, »dort bekommt ihr alles, was ihr wollt.« – »Auch Pizza

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