Loewinnenherz
„Jaja“, maulte sie, „ist ja schon gut.“
Und so flogen wir, die inzwischen fünfjährige Berna und ich, nach Antalya. Es war für uns der erste Flug, und beide waren wir grün um die Nase. Ich saß die ganze Zeit wie eine Mumie in meinem Sitz und rührte mich nicht. Vor lauter Angst wagte ich nicht zur Toilette zu gehen und aß und trank nichts. Berna dagegen fand nach dem ersten Schreck während des Starts alles sehr spannend. Sie machte mich halb wahnsinnig mit ihrer Fragerei: „Mama, stürzen wir jetzt ab? Mama, warum fliegen wir so weit oben? Mama, schau mal, die Häuser sind ja sooo klein.“
Wir kamen sehr spät abends an, und sahen erst am nächsten Tag beim Frühstück, in welch schönem Hotel wir gelandet waren. Obwohl wir in der Türkei waren, war Antalya für mich ein fremdes Land. Ich habe ja bis heute nicht einmal Istanbul besucht! Und hier in Antalya war es so völlig anders als in der Heimat meiner Eltern. Ich war noch nie zuvor in einem Hotel gewesen. Doch ich fragte nach den Frühstückszeiten, als sei das für mich das Normalste auf der Welt. Nach dem Frühstück gingen wir an den Pool, Berna spielte glücklich vor sich hin, und ich hatte endlich Zeit, in Ruhe etwas zu lesen.
|136| Erster Urlaub, 1998
Am zweiten Tag konnte man sich für eine Tour anmelden, und bei dieser Gelegenheit fielen mir zwei Frauen in meinem Alter auf. Eine hatte braunes, schulterlanges Haar, die andere war eine Blondine mit einer tollen Figur und einer Sonnenbrille, als hätte der Terminator höchstpersönlich sie ihr geschenkt. Sie wirkten so selbstsicher, dass ich mich zunächst fast nicht getraut hätte, sie anzusprechen, doch dann fasste ich mir doch ein Herz: „Hallo“, sagte ich, „ich bin die Şengül aus Nürnberg und mit meiner kleinen Tochter ganz alleine hier. Meint ihr, wir könnten vielleicht etwas zusammen unternehmen?“
Da nahm die Blondine ganz lässig ihre Sonnenbrille ab, sah mich aus wunderschönen blauen Augen an, und sagte mit einer freundlichen, sanften Stimme: „Ja, gerne!“
Die beiden Frauen hatten bereits ein paar Jungs aus Rostock kennengelernt, und alle zusammen, die kleine Berna im |137| Schlepptau, unternahmen wir in diesen sieben Tagen eine Menge wunderbarer Dinge.
Eines Abends am Pool bemerkten die anderen, dass ich nicht schwimmen konnte, und beschlossen, das auf der Stelle zu ändern. Sie nahmen mich und warfen mich kurzerhand ins Wasser.
„Wir holen dich schon raus bevor du ertrinkst. Keine Sorge!“ Radka, die blonde Frau mit der coolen Sonnenbrille, zeigte mir die Grundzüge, und auf einmal merkte ich, dass ich mich oben halten konnte. Es war ein herrliches Gefühl, so als ob ich von nun an auch im Leben nie mehr untergehen würde. Jetzt konnte ich schwimmen! Im Alter von vierundzwanzig Jahren hatte ich es endlich gelernt, und zwar gleich „Brust“ und „Kraul“ – und von da an zog ich jeden Sonntag meine Bahnen im Schwimmbad in meiner Nürnberger Nachbarschaft.
Mitunter gab es auch ernste Momente in unserer Urlaubs-Clique. Zum Beispiel wenn Berna in ihrer kindlichen Unbefangenheit erzählte, was hinter uns lag. Wenn sie herausplapperte, dass der Papa die Mama umbringen wollte, es aber zum Glück nicht geschafft hatte. Doch solche Momente zeigten mir einmal mehr, wie weit ich inzwischen gekommen war, wie frei ich endlich war, und was für ein Albtraum hinter uns lag.
Ich hatte mich besonders mit Radka angefreundet, und als der letzte Tag gekommen war, meinte sie: „Urlaubsbekanntschaften halten nicht.“ Ich aber sagte: „Radka, wir werden in Kontakt bleiben.“
Und so war es auch. Wir sind bis heute enge Freundinnen. Sie lebt in einer anderen Stadt, und dennoch sehen wir uns immer wieder. Auch weitere Urlaube haben wir miteinander verbracht, in Italien, auf Rügen und erst im vergangenen Jahr auf Mallorca. Freundinnen zu haben ist für mich wie ein Lebenselixier, der Austausch mit ihnen bedeutet mir ungeheuer viel.
Dieser Urlaub – so simpel er für viele klingen mag – war für mich ein wichtiger Meilenstein. Ich hatte mich endlich gegen meine Eltern durchgesetzt, hatte gezeigt, dass ich eine selbstständige Frau war, dass ich trotz vieler Ängste in der Lage war, ein |138| ganz normales Leben zu führen, Freundschaften zu schließen und umzusetzen, was ich mir so lange erträumt hatte.
Wieder zu Hause stürzte ich mich mit neuem Schwung in die Arbeit. Zusätzlich machte ich am Abend noch die Buchhaltung für fünfundzwanzig Friseurfilialen, und
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