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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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ich nur, dann begann ich auch, Hip-Hop zu tanzen. Das machte mir nicht nur ungeheuren Spaß, es war außerdem eine Gelegenheit, mich so richtig auszutoben und ganz nebenbei mein Körperfett abzutrainieren. Jeden Sonntag ging ich ins Schwimmbad und zog beharrlich meine Bahnen. Als Berna gesagt hatte, ich sei fett, wog ich stolze 86 Kilo. Neun Monate später waren es nur noch 53. Das Minikleid passte perfekt. Und ich fühlte mich wie ein neuer Mensch – und im Grunde war ich das auch.

    |145| Im Urlaub, ein halbes Jahr, bevor ich anfing abzunehmen
    unten:
    Im Jahr 2000, nachdem ich 33 Kilo abgenommen hatte
    |146| Betrachte ich heute Fotos, auf denen ich zwanzig bin, dann kann ich es kaum glauben, dass ich das gewesen sein soll.
    Ich fühlte mich wie ein neuer Mensch, und dennoch hingen noch immer die Gespenster meiner Vergangenheit über mir. Auf der einen Seite war ich im Beruf erfolgreich, ging viel aus, fühlte mich endlich als attraktive junge Frau und holte ein wenig von dem nach, was ich in meiner Jugend versäumt hatte. Auf der anderen Seite gab es aber auch düstere Stunden des Alleinseins, in denen mich wilde Ängste ergriffen, die völlig irrational waren. So fürchtete ich mich viele Jahre lang davor, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen. Und nachts hatte ich drei Jahre lang immer wieder denselben Traum: Es klingelt an meiner Tür, und vor mir steht Refik, schwarz und verkohlt, ein entsetzlicher Anblick wie aus einem Horrorfilm. In seiner Hand hält er ein großes Messer. Er war aus dem Grab auferstanden und gekommen, um mich zu töten.
    Ich kann das Grauen kaum beschreiben, mit dem ich nach diesem Traum jedes Mal erwachte. Die Furcht, irgendjemand könnte auf dem Weg von der Türkei nach Deutschland sein, mit einer Pistole in der Tasche, um Refiks Werk zu vollenden, ließ mich nicht mehr los. Noch immer meldete sich großmäulig die Verwandtschaft, böse Worte wurden gesagt, Verwünschungen ausgesprochen. Das alles bedrückte mich und machte mich wütend.
    Doch ein Jahr nachdem ich den Verwandten meines Mannes gesagt hatte, dass Gott den Schuldigen richten möge, geschah etwas, was alle schockierte: Es war bei einer Beschneidungshochzeit, wie in Anatolien die Beschneidung eines fünf- oder sechsjährigen Jungen genannt wird. Während des Fests geschah ein folgenschwerer Unfall: ein Schuss löste sich aus einem Gewehr, und der Blindgänger traf jenen Cousin, der Refik damals die Waffe in die Hand gedrückt hatte, damit er mich im fernen Deutschland töten könnte. Der Schuss ging, so wurde mir berichtet, auf der einen Seite seines Bauches hinein und zur anderen wieder hinaus. Innere Organe wurden verletzt und er verblutete.
    |147| Er war das Oberhaupt der Familie gewesen, und sein Tod war ein fürchterliches Unglück für alle. Er hinterließ Frau und Kinder, und da er der Haupternährer der Großfamilie war, traf sein Tod sie alle sehr hart. Ich aber dachte an meine Worte: „Gott wird den Schuldigen bestrafen.“ Eine andere Verwandte schwor: „Ich werde einen Sohn gebären, ihn werde ich Refik nennen, dann lebt er in meinem Kinde fort und kann sein Werk vollenden.“ Diese Frau wurde noch mehrmals schwanger, doch jedes Mal starb das Kind in ihrem Leib, bis ihr die Ärzte schließlich mitteilten, dass sie keine Kinder mehr bekommen könnte. Die schweren Schicksalsschläge in Refiks Familie machten viele nachdenklich. Und irgendwann hörten die Drohungen gegen mich auf.

    Diese Ereignisse deprimierten mich natürlich sehr. Hinzu kam noch die Angst, von der Last meiner Schulden erdrückt zu werden. Niemand aus meiner Familie wollte mir helfen. Einmal war es finanziell besonders eng und ich brauchte dringend eine Erweiterung meines Dispo-Kredites. Ich bat meinen Vater, eine Bankbürgschaft für mich zu unterschreiben. Wir hatten bereits darüber gesprochen, und er schien nicht abgeneigt. Als ich im Hof hinter dem Haus meiner Eltern aus dem Auto stieg, lehnte meine Mutter im offenen Fenster.
    „Was willst du?“, fragte sie in ihrer typisch abweisenden Art, so als sei ich nicht ihre Tochter, sondern eine unerwünschte Hausiererin.
    „Ist mein Vater da?“, fragte ich zurück.
    „Was willst du von deinem Vater?“
    Sie wusste ganz genau, warum ich gekommen war, und so gab ein Wort das andere. Das Ende vom Lied war, dass sie meinem Vater nicht erlaubte, die Bankbürgschaft für mich zu unterschreiben. Dabei ging es nicht um das Geld, mein Vater verdiente genug, er hätte mir diese Bürgschaft ohne

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