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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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dass wir nicht auf dieser Welt sind, um den anderen zu beweisen, wer im Recht und wer der Stärkere ist. Die Misere meiner Schwiegereltern, die nicht nur ihren Sohn verloren hatten, sondern auch ihren Wohlstand und ihren Stolz, tat mir weh. Und so entschloss ich mich zu einem weiteren Schritt der Versöhnung.
    Mir stand in der Türkei eine Witwenrente zu, und die trat ich an die Eltern meines Mannes ab. Außerdem schenkte ich ihnen allen Goldschmuck, den ich besaß. Damit waren wir ausgesöhnt. Und ich, die ich selbst alles andere als reich war und immer noch Refiks Schulden abtrug, fühlte mich dadurch frei und irgendwie erlöst. Meine Schwiegereltern sagten zum Abschied, dass ich ein guter Mensch sei, und dass sie sich dafür schämten, was ihr Sohn mir und meiner Tochter angetan hatte. Das genügte mir, um meinen Frieden mit ihnen zu machen. Ich kehrte zurück nach Deutschland, und eine Zentnerlast fiel von meiner Seele ab.
    Meine eigene Mutter konnte allerdings immer noch nicht anerkennen, dass ich als erwachsene, verantwortungsvolle Frau mein Leben in die Hand genommen hatte. Ich hatte endlich einen netten Mann kennengelernt, einen Griechen, mit dem ich nun zusammen war. Auch diese Beziehung war meiner Mutter ein Dorn im Auge. Ich musste einsehen, dass mich meine Mutter so, wie ich war, nie akzeptieren würde. Dass sie nicht begriffen hatte, was sie mir angetan hatte und noch immer antat. Das schmerzte. Aber mir wurde klar, dass ich mich nur dann aus meiner schwierigen Situation als alleinerziehende und berufstätige Mutter befreien konnte, die einen Berg von Schulden abzuarbeiten hat und nebenher noch eine Ausbildung macht, |153| wenn ich all diese negativen Einflüsse von mir fernhielt. Wenn ich schon alles allein schaffen musste, dann wollte ich nicht auch noch ständig den demütigenden Anschuldigungen meiner Mutter ausgesetzt sein. War es mir nur wenige Jahre zuvor unmöglich erschienen, ohne Familie dazustehen, war genau das nun bittere Realität geworden.
    Mit aller Kraft konzentrierte ich mich auf die Zukunft, die vor mir lag. Ich hatte große Ziele, ich wollte Karriere machen. So viel Anerkennung und Zuspruch hatte ich bereits erhalten. Mit nichts als einem durchschnittlichen Hauptschulabschluss hatte ich es geschafft, Steuerfachangestellte zu werden. Ich war inzwischen eine wichtige Mitarbeiterin einer erfolgreichen, großen Steuer- und Wirtschaftsprüfungskanzlei. Ich stand kurz davor, die Prüfung zur Personalfachkauffrau zu bestehen. Ich hatte die Hölle meiner Ehe und einen Mordanschlag überlebt. Es konnte einfach nicht angehen, dass ich mich mit inzwischen dreißig Jahren noch immer von meiner Mutter behandeln ließ wie ein dummer Teenager.
    Auch damals noch, nach all den Jahren, begleitete mich das Bild der Anwältin, die Aktentasche fest in ihrer Hand. Ich kam diesem Bild immer näher. Eines Tages würde ich mir eine solche Aktentasche kaufen. Und einen grauen Hosenanzug ebenfalls. Wenn es so weit war, dann hatte ich es geschafft.
    Der Sprung nach oben
    Eines Tages kam mein Chef auf mich zu und sagte: „Şengül, ich hab da etwas für dich. Bei einer Firma, die wir betreuen, hat die Personalchefin gekündigt, und jetzt wollen sie diesen Bereich outsourcen. Wäre das nicht was für dich?“
    Ich war sofort begeistert. Doch dann dachte ich an meine leidige Volkswirtschaftsprüfung, die ich immer noch nicht abgelegt hatte.
    „Ich hab die Prüfung doch noch nicht“, wandte ich ein.
    |154| „Ach was“, meinte Michael, „die holst du eben so schnell wie möglich nach. Jetzt gehst du einfach mal hin und schaust dir das an. Dann sagst du mir, ob du es dir zutraust oder nicht.“
    Also fuhr ich zu der Firma und führte Gespräche mit dem Geschäftsführer, dem Finanzchef und der bisherigen Personalleiterin. Recht bald konnte ich mir ein Bild von der Problematik machen. Das Lohnprogramm war meiner Meinung nach zu teuer und aufwendig, das konnte man viel rationeller organisieren. Dann mussten wir noch die Frage klären, welche Aufgaben genau an uns abgegeben werden sollten, und was die Firma weiterhin im Haus behalten wollte. Schließlich hieß es, sie würden uns gerne die Lohnabrechnung für alle Mitarbeiter plus die der Rentner übergeben.
    „Was glaubst du“, fragte Michael, „wie viel Zeit du dafür brauchst?“
    „Naja“, antwortete ich, „in zwei Tagen pro Woche müsste das eigentlich zu schaffen sein.“
    Aber natürlich mussten jetzt erst einmal die ganzen Personalstammdaten von ca.

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