Lohn der Angst
Sandbahn, um auf achtzig zu kommen. Sechzig. Der fünfte Gang. Seit zehn Sekunden vergißt Johnny zu atmen. Mit offenem Mund sieht er die tausend kleinen Wegstücke unter den Wagen stürzen. Sandstaub und Erdkrumen tanzen im Scheinwerferlicht, werden verschluckt von der rasenden Fahrt.
Der Motor stagniert. Mit einem Fußtritt, jähzornig, mehr als das: wütend, stößt Stürmer den Gashebel nieder. Denkst du! Sechzig, sechzig, kein Strich mehr. Er wechselt einen Blick mit Johnny. Der Bursche sitzt zusammengesunken in seiner Ecke, die Füße gegen das Armaturenbrett gestemmt. Er schreit nicht sehr laut, aber er schreit. Ein langgezogenes eintöniges Heulen. Er kann nichts dazu, das läuft aus ihm heraus, ganz von selbst.
Aber was hat der Wagen nur? Und der Gedanke springt von Gérards Lippen, er brüllt ihn mit Leibeskräften heraus:
»Der Motor ist gedrosselt!«
Um zu verhindern, daß Chauffeure mit den Trucks unnötig schnell fahren, werden bei den amerikanischen Gesellschaften die Vergaser plombiert. Sicher haben O’Briens Mechaniker vergessen, die Plombe abzunehmen, niemand hat an diese Plombe gedacht.
Nur noch dreißig bis vierzig Meter Sand. Normalerweise wären mindestens fünfzig nötig. Aber Gérard hat schon zu bremsen angefangen. Mit sechzig Stundenkilometern darf er das »Wellblech« nicht angehen. Das ist die schlechteste Geschwindigkeit. Er muß vorher halten.
Stärker, stärker auf den Bremshebel, und wiederum auch nicht zu stark. Während er den Hebel tritt, spürt Gérard in seinem Rücken, bis in alle Knochen, die Sprengstoffmasse, die, von der Beschleunigung des Wagens mit fortgetragen, gegen die Wände der Behälter drückt – und jedes Molekül übt einen Druck in seinen Adern aus. Er fühlt sich selbst vorwärtsgestoßen, das Blut klopft in seinen Ohren. Das kann nicht der Bremsdruck sein. Das ist die Angst.
Es bleiben zehn bis zwölf Meter Sand. Und die Nadel zeigt noch auf fünfundzwanzig. Das Schlimmste kommt jetzt: wenn der Truck nicht nach und nach zum Stehen kommt, wird der Druck der Flüssigkeit, der mit wachsender Kraft auf der Vorderseite der Behälter liegt, mit einem Ruck nach rückwärts schlagen. Ein kurzes Plätschern würde genügen ... Und andererseits muß der Wagen am Ende der Sandbahn zum Stehen kommen.
Als sich die Räder dem »Wellblech« nähern, läßt Stürmer die Fußbremse los und zieht die Handbremse an, nur halb und ohne Hast, gerade ausreichend, um das Ausrollen des Wagens abzuschwächen. Drei Einschnitte in der Zahnstange, nicht mehr. Sie klicken einzeln beim Anziehen der Bremse, und dieses friedliche Geräusch bringt Gérard zum Bewußtsein, daß er seine Kaltblütigkeit bewahrt hat. Nun aber runter in den ersten Gang. Er darf sich dabei nicht irren: es handelt sich jetzt darum, ausgekuppelt, auf dem Gashebel die Tourenzahl zu finden, die dem Gang bei dieser Geschwindigkeit entspricht. Dann muß er die Kupplung loslassen, schließlich den Gashebel, aber sanft. Das Tachometer zeigt noch zwanzig, viel zuviel; und die Spitzen der Kotflügel ragen bereits über die ersten Rillen des harten Bodens hinaus.
Eine Serie von harten Stößen schüttelt die Vorderachse, als solle sie zerlegt werden. Wenn, wie vorhin, die Stoßdämpfer nicht in Ordnung gewesen wären ... Aber sie funktionieren vorzüglich. Das zornige Beben der Vorderräder teilt sich dem Rest des Chassis nicht mit. Und ein gutartiger, folgsamer Wagen kriecht unter der Führung des erschöpften Gérard wie vor einer Stunde den Weg entlang und überwindet jeden Höcker im Schneckentempo.
Hinten auf dem Wagen war der Druck in den Behältern nach und nach gefallen. Auch die Angst löste ihre Umklammerung, verlor die Kraft. Der Wagen stand.
Jetzt eine Zigarette, das mußte sein. Sie waren wieder ausgestiegen, wieder schweigsam. Sie standen im fleckigen Schein der roten Lichter, und ihre leeren Gesichter sahen schmutzig aus.
»Verflucht! Solche Schweinerei!«
Mihalescu seufzte, antwortete nicht.
»Los, Alter. Wieder zurück.«
»Nein ... Nein!...«
Ein unmenschlicher Schrei. Der Schrei eines Mannes, der stirbt, mit offenem Leib und blutigen Eingeweiden.
Stürmer packte ihn beim Hemd und schüttelte ihn hin und her, hin und her, hin und her. Sein verletzter Finger tat ihm wieder weh. Er knurrte wütend und packte fester zu. Der Stoff gab nach, zerriß wie bedauernd.
»Ich habe gesagt: Wieder zurück. Kapiert, du Schlappschwanz?«
»Nein, Gérard, nein...«
Er hatte eine kleine, lächerliche
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